Anmerkung zu einem Aufruf, die Care-Arbeit in die Kapitalismusbegrünung und was darüber hinaus geht einzubeziehen

Ulrike Röhr und Narges-Lankarani, beide Expertinnen in Sachen „Gender & Sustainable Developement“  haben in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Ökologisches Wirtschaften angemahnt, bei Fragen des richtigen Wirtschaftens die Care-Ökonomie stärker in den Blick zu nehmen.  Mit Care-Ökonomie (= Sorge-Ökonomie/Sorge-Arbeit) ist alles gemeint, was direkt am Menschen für  dessen körperliches und seelisches Wohlbefinden bzw. für die (Wieder-)Herstellung seines sozialen Vermögens geleistet wird – unabhängig, ob es sich dabei um Erwerbstätigkeit, selbstständige Dienstleistungen oder um im eigenen Haushalt  bzw.  für nahestehende Personen unentgeltlich geleistete Arbeit handelt.

Die Autorinnen kritisieren, dass Debatten über Green Economy gemeinhin auf das Grünerwerden und auf Ressorcenschonung  „der Wirtschaft“ und „des Marktes“ fokussiert seien und den Bereich der Sorgearbeit ausklammern würden, obwohl der die Grundlage allen Wirtschaftens sei.  Die Green Economy Konzepte müssten sich aber daran messen lassen,  „ob sie einer Trennungsstruktur zwischen produktiv und reproduktiv  und damit verbundene Hirarchisierungen aufheben.“

Röhr und Narges-Lankarani argumentieren:

„Die mehrheitlich von Frauen unbezahlt erbrachten Haushaltsleistungen tragen in erheblichem Umfang zur Wertschöpfung bei – werden aber nicht im Bruttoinlandsprodukt (BIP) berücksichtigt. Sie entsprechen in etwa der Bruttowertschöpfung der deutschen Industrie und der Bereiche Handel, Gastgewerbe und Verkehr zusammen (Statistisches Bundesamt, beruhend auf Zahlen von 2001). Allerdings geht die Bedeutung der Haus- und Familienarbeit weit über deren ökonomische Bedeutung hinaus“

Insbesondere zeige sich diese Bedeutung im stark wachsenden Pflegebereich. Was logisch zu der Position führt, dass Wachstum nicht UNBEDINGT schlecht ist. Genau das hebt diesen Beitrag positiv von einer abstrakten „Wachstumskritik“ ab. In der Tat muss die Diskussion dahin gehen, wie die (Welt-) Gesellschaft dahin kommt, wirklich als Gesellschaft (also miteinander) entscheiden zu können, was wachsen oder was lieber schrumpfen soll.

„Die für eine Veränderung unserer Lebensstile, Konsum- und Produktionsmuster nötige gesellschaftliche und wirtschaftliche Transformation muss deshalb mit einer Umverteilung von Arbeit, Einkommen, Einfluss und Macht einhergehen; also mit Gerechtigkeit. Damit greift sie tief in bestehende und mit großem Beharrungsvermögen ausgestattete Strukturen ein. Deshalb muss dieser Wandel zwangsläufig  auf der Basis vielschichtiger, demokratischer Aushandlungsprozesse erfolgen. Diesen gesellschaftlichen Such- und Lernprozess zu gestalten, ist eine riesige Herausforderung.“

So ist es. Allerdings könnte etwas deutlicher ausgesprochen werden, dass diese „Umverteilung“ derzeit nur bedeuten kann, mittels Festlegung von Standards, Ökosteuern, Ökozöllen und anderen Mitteln zur Internalisierung gesellschaftlichen Arbeitsaufwands in die Preisstruktur des  Warenangebots und damit in die Konkurrenzbedingungen einzugreifen, so dass Raubbau nicht mehr länger am Markt belohnt wird. Womit wir aber wieder bei Konzepten einer „Green Economy“ wären – und  damit auch bei meiner Kritik an dem vorliegenden Beitrag.

An anderer Stelle greifen Röhr und Narges-Lankarani die „Effizienzverliebtheit der meisten Green-Economy-Konzepte“ an,  zeigen damit aber, dass sie selbst in der von ihnen kritisierten (kapitalistischen) „Trennungsstruktur zwischen produktiv und reproduktiv“ befangen sind.  Denn die Möglichkeiten der Gesellschaft, die Care-Arbeit aufzuwerten, sprich, es hinreichend vielen Menschen zu erlauben, sich in einer – auch für sie selbst – befriedigenden Weise um ihre Mitmenschen zu kümmern, hängt eben auch von der Menge und Qualität der Güter ab, die die Gesellschaft den benötigten Care-Kräften zur Verfügung stellen kann. Und dies wiederum ist – neben den Bedürfnissen der Care-Arbeitenden – nicht zuletzt eine Frage der Effizienz, mit der diese Güter produziert werden können.

Es ist eine Frage der ökonomischen Effizienz,  weil nur die Arbeitszeit, die für die  Her- und Bereitstellung gesellschaftlich notwendiger Güter oder Dienstleistungen (ohne die auch Care-Arbeit nicht ginge)  NICHT mehr verausgabt werden muss, für ein (qualitatives wie quantitatives) Wachstum der Care-Arbeit eingesetzt werden kann.

Es ist auch eine Frage der ökologischen Effizienz, weil mangelnde Öko-Effizienz eine nachhaltige Aufwertung der Care-Arbeit verunmöglicht bzw. Teil des ökologischen Problems ist.

Eine ökologische bzw. soziale Betrachtung, die auf ein sozial bzw. ökologisch rationales Arbeitszeitmanagement zielte, bei dem die Gesamtheit des durch Arbeit vermittelten Stoffaustausches bzw. Gestaltwechsels im Blick wäre (um dessen Beherrschbarkeit bzw. ökologische Vernunft sich gesorgt würde), bliebe außerdem nicht an eine kapitalistisch geformte Vorstellung von „produktiv“ bzw. „reproduktiv“ kleben. Wie oft in Gender-Diskursen wird hier eine mangelnde Trennschärfe zwischen (sozialem) Gebrauchswert und (ökonomischem) Warenwert zum Problem.

„Reproduktiv“ wird hier die Schaffung bzw. Wiederherstellung der Mietsache Arbeitskraft genannt und bedauert, dass die, soweit diese unentgeltlich im eigenen Haushalt oder zugunsten von Angehörigen geleistet wird,  nicht als „produktiv“ im Sinne der im BIP dokumentierten „Wertschöpfung“ anerkannt sei. Das ist in zweifacher Hinsicht problematisch.

1) Sozial bzw. ökologisch gesehen ist alle Arbeit Herstellung (Produktion) und Wiederherstellung (Reproduktion) von bestimmen Gebrauchswerten, d.h. eines in der Gesellschaft nachgefragten Nutzpotenzials. Auch die Arbeitskraft wird hergestellt UND wiederhergestellt. Deren Herstellung bzw. Wiederherstellung geschieht zu einem Teil im eigenen Haushalt und zum anderen dort, wo – in der Regel innerhalb von Gelderwebsverhältnissen – die dafür notwendigen Lebensmittel her- und bereitgestellt, Kinderköpfe außerhäußlich bzw. massenmedial geschult, bespaßt, trainiert oder orientiert werden usw. Auch die Her- und Bereitstellung einer Windel in der Fabrik ist Teil der ((Wieder-)Herstellung von Arbeitskraft und gründet ebenso wie das Anlegen und Entsorgen der Windel unter anderem auf  Vorgänge in der außermenschlichen Natur, d.h. auf die Produktion des vom Menschen genutzten Rohstoffes durch und in bestimmten Ökosystemen.  Und DEREN Reproduktion, d.h.  die Reproduktion der ökologischen Funktionen natürlicher „Rohstofflieferanten“ (Wald, Bäume usw.) bleibt innerhalb kapitalistischer Vergesellschaftungsweisen IN BEIDEN FÄLLEN im Dunklen obwohl ohne dem gar nichts ginge.

Heißt: eine soziale bzw. ökologische Betrachtung / Bedeutung von „Reproduktion“ müsste auf die Gesamtheit der berührten Vorgänge bzw. Wirkungen und Voraussetzungen zielen und nicht allein auf die zur Wiederherstellung von Arbeitsvermögen direkt und unentgeltlich geleistete Arbeit.  Sozial bzw. ökologisch betrachtet lässt sich das Ergebnis von Wiederherstellungsleistung auch nicht in Geld ausdrücken. Wenn das qualifiziert und quantifiziert werden soll (was für ein menschliches Füreinander auf Grundlage eines Nachhaltigkeitsmanagements unerlässlich ist) müssen Kennziffern für Dinge wie Gesundheit, Mitgestaltungsvermögen, ökologische Qualität, Erholdungsqualität usw gefunden werden – und eben auch für den notwendigen oder einen akzeptablen Arbeitsaufwand und welche Rechte sich daraus gegebenenfalls ableiten lassen.

2.) Nur DIE Produktion gilt im Kapitalismus als „produktiv“ die Warenwert produziert. Es müsste also eigentlich „warenwertproduktiv“ heißen. Aber inwieweit ist die  (Wieder-) Herstellung des Arbeitsvermögens als eine Mietsache warenwertproduktiv? Die Mietsache wird  durch an ihr unentgeltliche geleistete Arbeit nicht teurer oder nur um so viel, als dies im gesellschaftlichen Durchschnitt zusätzlichen Einkauf von Lebensmitteln notwendig macht. Unentgeltliche häusliche Care-Arbeit war allerdings auch in der Vergangenheit mit dem „Hausfrauenmodell“ als gesellschaftliche Norm in so fern – ein wenig –  warenwertproduktiv als die für die „Hausfrau“ zu besorgenden Lebensmittel (inklusive  der Wohnung oder des Hauses) Teil des Lohns des Parts waren oder noch sind (wenn auch  zunehmend staatlich vermittelt), der einer Gelderwerbsarbeit nachging.  Hausarbeit also in so fern INFORMEL bezahlt war/ist.  Das war ist ist allerdings  keine Sache der Moral sondern der realen Kosten dessen, was im gesellschaftlichen Durchschnitt gegeben war/ist.

Das Verlangen nach einer moralischen (Auf-) Wertung von häuslicher Sorgearbeit als „produktiv“ im Sinne von Warenwert schaffend bzw. wertschöpfend (warenwertschöpfend) müsste also konsequenterweise dafür sorgen, dass die  häusliche Sorge möglichst nur noch in in Loharbeitsverhältnissen geleistet wird – was ja auch teilweise geschieht.

Das moralische Aufwertungsmotiv argumentiert FAKTISCH (aber in der Regel unbewusst) mit der der Bedeutung der unentgeltlichen oder auch schlecht entgoltenen Sorgearbeit für den sozialen Gewinn (= den gewonnenen gesellschaftlichen Reichtum an Wohlbefinden und sozialem Vermögen) und NICHT auf die Erhöhung des Warenwertes  der Arbeitskraft  bzw. des Warenwertpools der kapitalistisch organisierten Gesellschaft wie er im BIP abgebildet ist. Es wird aber auf deren angebliche Bedeutung für „die Wertschöpfung“ verwiesen. Und genau diese Vermischung der Bedeutung von sozialem Gewinn und Gewinn an Warenwert verhindert die nötige Klarsicht.

Das Kapital, das  die Arbeitskraft anmietet oder Abgaben für  die Organisation von Sorgearbeit zu leisten hat, ist natürlich an einem möglichst GERINGEN Warenwert von Arbeitskraft oder der für die Organisation  von Sorgearbeit, Bildung usw. zu produzierender Güter interessiert. Es macht durch das Drücken des eingekauften Warenwertes durch unentgeltliche Arbeit trotzdem nicht mehr Profit, sondern ist aufgrund der Unternehmenskonkurrenz genötigt,  den sich durch Ausbeutung von Kostenersparnis ergebenen Gewinn an Gebrauchswert, d.h. an gesellschaftlichem Nutzpotenzial an deren Kunden also an die Gesellschaft weiter zu reichen.

Das gleiche gilt im Übrigen für die Fähigkeit, die Kosten für die Reproduktion „nachwachsender  Rohstoffe“ einzusparen, sprich, für Raubbau an den natürlichen Ressourcen. In dem Maße, wie sich diese Fähigkeit zum Raubbau verallgemeinert, verlieren die beteiligten Unternehmen die Fähigkeit, daraus ihren privaten Extraprofit zu schinden und müssen den (selbst-) zerstörerischen „Warensinn“an die  Gesellschaft weitergeben, die den Raubbau in der Form „sensationell billiger Preise“ entgegen nimmt – vermittels des Fetischcharakters der Ware – vorgestellt als Mehr an eigenem Verdienst oder als Mehr an an sozialer Gerechtigkeit.

Die Gegenrechnung in der Form von in Geld ausgedrückten Kosten, die an anderen Stelle zu tragen sind, und Bemühungen, sie mittels Abgaben und Verordnung von Standards in Unternehmenskosten zu internalisieren sind zwar notwendige Schritte, aber dass so „die Preise die ökologische Wahrheit sagen werden“  ist ein leeres Versprechen, weil  ökologische  oder soziale Wahrheiten nicht in Geld ausdrückbar sind. Was die Notwendigkeit andeutet, es nicht bei Eingriffen zu belassen, in die Geldakkumulationsbedingungen zugunsten sozial bzw. ökologisch betrachtet erwünschten Effekten zu kommen. Deren Möglichkeiten auszureizen ist zwar unverzichtbar und auch übrigens eine unverzichtbare Bedingung, darüber hinaus zu kommen, aber schließlich bzw. ergänzend muss doch in Richtung eines (Welt-)Wirtschaften gedrängt werden, das auf Grundlage eines – am Ende weltgemeinschaftlich organisierten – Nachhaltigkeitsmanagements funktioniert – in der auch über das für die Entwicklung einer angemessenen Sorge-Arbeit zu reden sein wird. Und in diese Richtung gehen ja möglicherweise auch die von Röhr und Narges-Lankarani erwähnten „rasant wachsende Anzahl an Publikationen zur Glücksforschung“ bzw. Bemühungen zu sozial bzw. ökologisch hinreichend reflektierten Fortschrittsindikatoren zu gelangen.

Allerdings sollte berücksichtigt werden, dass Konzepte, und seien sie noch so genial, als solche nicht in der Lage sind, die kapitalistischen Trennungsstruktur zwischen ökonomischen, sozialen und ökologischen Tatsachen (Zwängen, Aufmerksamkeiten, Behauptungsmuster usw.)  aufzuheben. Und ob sie, etwa in Form der Green Economy in eine solche Richtung wirksam sein können, hängt vielleicht mehr von der Aufregung über ihre Mängeln ab.

hhh

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