Versuch, Hartmut Rosas Lob der „UNVERFÜGBARKEIT“ zu verstehen (1)

Zu Teil 2

Hartmut Rosas Plädoyer für mehr „Resonanz“ oder für eine Resonanzgesellschaft scheint derzeit in aller Munde und so muss es nicht überraschen, dass es mir innerhalb nur einer Woche gleich zweimal in persönlichen Zusammenhängen begegnete. Zunächst war ein langjähriger Freund während eines ausgedehnten Spaziergangs unter anderem auf Rosas Resonanztheorie zu sprechen gekommen und hatte seine Freude darüber zum Ausdruck gebracht, dass dessen systemtheoretischer Ansatz Wege der Ententfremdung und der Emanzipation aus dem „Bloßes-Mittel-zum-Zweck-anderer-Sein“ aufzuzeigen scheint, die ohne bürokratischen Zentralismus auskommen. Nur wenige Tage danach drückte mir eine Freundin Rosas neues Buch mit dem Titel UNVERFÜGBARKEIT in der Hand. Es war ihr empfohlen worden, doch nach nur wenigen Seiten war sie zu dem Ergebnis gekommen, dass sich für sie die Mühe des Durchackerns wahrscheinlich nicht lohnen würde.

Nun wollte ich mir eh Rosas kritische Würdigung des marx-engelsschen Verständnis von Entfremdung (und Wege, sie aufzuheben) anschauen, also ok. Schön. Einige Einwände gegen Rosas Theorie waren mir bereits vorher begegnet, wie dass Resonanz für schlimme Dinge (Klimawandelleugnerei, Faschismus usw.) nicht gerade wünschenswert sei. Doch versicherte mir mein Freund, dass Rosa überzeugende Argumente dagegen ins Feld führt, die zeigen, dass solche temporären Resonanzen in einer Resonanzgesellschaft nach seiner (Rosas) Vorstellung gerade keine Chance haben würden, die Gesellschaft als Ganze in den Abgrund zu ziehen. Ich bleibe skeptisch, und ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass meine Erwartungen geradezu himmelhoch jauchzen.

Wie auch immer ist Hartmut Rosas Büchlein über „UNVERFÜGBARKEIT“ mir eine willkommene Gelegenheit, meinen in letzter Zeit arg vernachlässigten Weblog neues Leben einzuhauchen, zumal Facebook mich gerade wegen angeblicher Putintroll-Beleidigung („Tri, tra Troll Lallla, Putins Kasper ist schon da“) zu einer Zeitstrafe von 30 Tagen verdonnert hat (was im Übrigen auch dem eigenen Buchprojekt sehr guttut).

Ich werde das in kleineren Häppchen genießen – und kommentieren.

Der Klappentext verstärkt meine Skepsis.

„Das zentrale Bestreben der Moderne gilt der Vergrößerung der eigenen Reichweite: Die Welt soll ökonomisch und technisch verfügbar, wissenschaftlich erkennbar und beherrschbar, rechtlich berechenbar, politisch steuerbar und zugleich alltagspraktisch kontrollierbar und erfahrbar gemacht werden. Diese verfügbare Welt ist jedoch, so Hartmut Rosas brisante These, eine verstummte, mit ihr gibt es keinen Dialog mehr. Gegen diese fortschreitende Entfremdung von Mensch und Welt setzt Rosa die „Resonanz“ als klingende, unberechenbare Beziehung mit einer nicht verfügbaren Welt. Zur Resonanz kommt es, wenn wir uns auf Fremdes, Irritierendes einlassen, auf all das, was sich außerhalb unserer kontrollierenden Reichweite befindet. Das Ergebnis dieses Prozesses lässt sich nicht vorhersagen oder planen, daher eignet dem Ereignis der Resonanz immer auch ein Moment der Unverfügbarkeit“

Oh, weh. Würde mich nicht die wissenschaftliche Neugierde auf das Erfolgsgeheimnis eines so beschriebenen Projektes und das Gefühl beschleichen, dass vielleicht gut zu wissen ist, was genau die Probleme und was die möglicherweise brauchbaren Seiten des Vorliegenden sein könnten, dann wär’s das jetzt bereits gewesen.

„Die Moderne“ als Subjekt? Abgesehen davon, dass es mir ein wenig gegen den Strich geht, die Moderne als mit eigenem Geist beseeltes Geschichtssubjekt zu behandeln, das Imstande ist, dies und jenes zu tun und zu denken oder nach diesem oder jenem zu streben stellt sich mir die Frage: Ist die kapitalistische Epoche gemeint oder schlicht eine Etappe der Menschheitsentwicklung, die von der massenhaften Inanspruchnahme von Segnungen der Wissenschaft, von rechtsstaatlich geschützten Freiheiten, Massenkommunikation und Massenwohlstand, einer demokratischen Kultur usw. gekennzeichnet ist und nicht nur eine kapitalistische, sondern (wie ich es für notwendig halte) perspektivisch auch eine (öko-) kommunistische Moderne werden könnte?

Kann einer Etappe der Menschheitsentwicklung ein ihr eigentümlichen Bestreben haben, das den bekanntlich oft gegensätzlichen Bestrebungen der in ihr wirkenden Kräfte, Klassen, Nationen, Unternehmen, Branchen, Gewerkschaften, Verbände usw. gemeinsam ist? Gab es einmal Zeiten, in denen nicht in irgend einer Weise nach Möglichkeiten gesucht wurde, die eigene Reichweite zu vergrößern?

„Entfremdung“ gründet nach Marx auf zwei Klassen private Verfügung über die gesellschaftlichen Produktionsmittel. Diejenigen, die über Produktivvermögen verfügen, das außerhalb des eigenen Körpers (einschließlich des Kopfes) angelegt ist, können damit gesellschaftliches Produktivvermögen als ihr eigenes Selbstbereicherungsvermögen nutzen. Sie lassen gesellschaftlich notwendige Produkte und Dienste her- und bereitstellen, um sie zu verkaufen und sich dadurch den Geldwert anzueignen, den die Verausgabung von Arbeitsvermögen unter ihrer Regie deren Produkten verleiht, weil die Gesellschaft sich den unter der privaten Regie erarbeiteten Gebrauchswert schließlich nur aneignen kann, wenn sie das Recht, darüber zu verfügen, gegen Geld einer Summe eintauscht, die dem gesellschaftlichen Verkaufswert entspricht, der um einen Wert herum pendelt, der sich aus der Arbeitszeit generiert, die für die Her- und Bereitstellung des begehrten Produktes im gesellschaftlicher Durchschnitt notwendigerweise aufzuwenden ist. Diejenigen, deren private Verfügung über gesellschaftlich notwendiges Produktivvermögen in ihrem höchst höchstpersönlich eigenen Arbeitsvermögen angelegt ist, sind dagegen darauf angewiesen, die private Verfügung über diese ihre Klasse gesellschaftliches Produktivvermögen im Tausch gegen Geld denen zu überlassen, die über die außerkörperliche Klasse gesellschaftliches Produktivvermögen verfügen. Neben den gegensätzlichen Klasseninteressen von Lohnarbeit und Kapital sind die Konkurrenz der privaten Produktionsagenten und die Art der Zivilisierung der auf dieser Grundlage zu erwartenden Konflikte durch separat vom Wirtschaftsgeschehen operierende Nationalstaaten, Quellen der „Entfremdung“. Kapitalismus entfremdet auf diese Weise, von den Mitmenschen, den Gegenständen bzw. Zwecken und Voraussetzungen der eigenen Arbeit, der Natur und dem eigenen Menschsein.

Diese „Entfremdung, um den Philosophen verständlich zu bleiben“ (Marx) kommt nach Marx dadurch zum Ausdruck, dass sich das menschliche Zusammenwirken (das Zusammenwirken von Produktion, Konsum, Pflege, Kultur, Bildung, Organisation, Entwicklung usw.) hinter den Rücken der Beteiligten herstellt. Den Menschen der kapitalistischen Moderne tritt ihr eigenes Zusammenwirken und ihr eigener Stoffaustausch mit der Natur als eine Naturgewalt gegenüber, die sie nicht beherrschen, sondern das im Gegenteil sie beherrscht.

Die „Entfremdung“ aufzuheben verlangt nach Marx Verhältnisse (Formen der Arbeitsteilung) herzustellen, die es den Menschen weltweit gestatten, ihre Produktionsbedingungen und damit den anthropogenen Stoffaustausches mit der Natur (welt-) gemeinschaftlich zu gestalten oder wie ich es nennen möchte, mehr (Öko-) Kommunismus zu wagen ;-).

Und zeigen die ökologischen Probleme, die sich auf der Grundlage der privateigentümlichen Verfügung über die gesellschaftlichen Produktionsbedingungen herausbildeten, (Globale Erwärmung, Biodiversitätsverluste, Verlust an Wäldern und Bodenfruchtbarkeit oder die Überfischung, Versauerung und Vermüllung der Weltmeere), nicht tatsächlich, dass es jetzt darauf ankäme, Formen der Arbeitsteilung zu etablieren, die es den Völkern der Welt erlaubten, ihren „Stoffwechsel mit der Na­tur rationell re­geln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftauf­wand und unter den ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehn“? (Marx: Das Kapital, MEW Bd. 25, S. 828) Und dass es vielleicht weniger darauf ankäme, eine „klingende, unberechenbare Beziehung mit einer nicht verfügbaren Welt“ aufzubauen, sich auf „Fremdes und Irritierendes“ einzulassen und durch eine geheimnisvolle „Resonanz“ planlos „ein Moment der Unverfügbarkeit“ zu ergattern?

Ok, vielleicht finde ich es heraus.

Fortsetzung folgt in Bälde

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