Reflexionen zu Axel Honneths Idee des Sozialismus (3)

Siehe auch Teil EINS und Teil ZWEI der Reflexionen über Axel Honneths Bemühungen um eine Neubestimmung der „Sozialistischen Idee“ Dieser Teil dürfte auch eine Weile nachreifen. Es wird hin und wieder durch zusätzliche Anmerkungen, Zitaten und Quellen ergänzt werden. Teil 4 folgt demnächst

„Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört; es liegt also der Natur der Sache nach jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion. (…) Mit seiner Entwicklung erweitert sich dies Reich der Naturnotwendigkeit, weil die Bedürfnisse; aber zugleich erweitern sich die Produktivkräfte, die diese befriedigen. Die Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehn, daß der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehn.“

Marx: Das Kapital, MEW Bd. 25, S. 828.

In seiner Reflexion über den Stellenwert des Begriffs Freiheit im frühsozialistischen Ideenhimmel beginnt Honneth sich ab etwa Seite 45/46, an Marx Kommunismus heran zu tasten bzw. zu dem, was er dafür hält..

Er bemerkt, dass …

… bei den Sozialisten der Begriff der Gemeinschaft zum tragen [kommt], den sie immer in einem Atemzug mit dem der Freiheit erwähnen. Wie sehr sie sich in ihrer jeweiligen Terminologie voneinander unterscheiden mögen, stets wird von ihnen unter Gemeinschaft mehr begriffen, als mit dem Ausdruck gemeinhin bezeichnet wird.Diese soll nämlich nicht nur gemeinsam geteilte Wertüberzeugungen und einen gewissen Grad der Identifikation mit Gruppenzielen beinhalten, sondern vor allem auch ein gegenseitiges Einstehen der Gruppenmitglieder füreinander und eine Anteilnahme am jeweils anderen, in der Idee, dass sich hier die Zwecke nicht nur überlappen, sondern intersubjektiv ineinander greifen sollen, so dass man nicht nur miteinander sondern eben auch füreinander tätig ist, waren wir schon zuvor auf den damit gemeinten Zug des sozialistischen Gemeinschaftsbegriffs gestoßen.

S. 48

Einige Seiten weiter erläutert Honneth das Lösungswort „soziale Freiheit“, das nach Meinung der Sozialisten des 19. Jahrhunderts die in Spannung zueinander geratenen Werte der bürgerlichen Revolution wieder miteinander versöhnen solle:

…demzufolge können menschliche Wesen ihre individuelle Freiheit in den für sie wichtigen Belangen allgemein geteilter Bedürfnisse nicht je für sich allein realisieren, sondern sind dabei auf Beziehungen untereinander angewiesen, die allerdings nur »frei« genannt werden können, wenn sie bestimmte, normative Auflagen erfüllen; dazu gehört an vorderster Stelle eine wechselseitige Anteilnahme, wie sie nur in solidarische Gemeinschaften gegeben ist, weil sonst nicht gewährleistet wäre, daß das einzelne Subjekt dauerhaft auf die zwanglose und freiwillige Befriedigung seiner Bedürfnisse durch das komplementäre Zutun des anderen Subjektes rechnen kann – die Gesellschaftsmitglieder dürfen nicht nur »miteinander«, sondern müssen »füreinander«tätig sein, weil sie nur dann ihre allgemeinen Bedürfnisse auf zwanglose Weise verwirklichen können.

Insofern liegt dem Sozialismus von Beginn an die Vorstellung einer neu zu schaffenden kommunitären Lebensform zugrunde, und nicht etwa nur die die Vorstellung der Durchsetzung eines veränderten, gerechtere Verteilungssystems.“

S. 51-52

Auch wenn es an dieser Stelle zunächst nur um die von Honneth diskutierten Vorstellungen geht, wie sie nach seiner Auffassung von den Sozialisten des 19. Jahrhunderts geteilt worden waren, fällt doch auf, was dem Philosophen hier anscheinend nicht auffällt, nämlich dass das Füreinander keineswegs eine Gemeinschaft voraussetzt, deren Mitglieder von moralischen Ansprüchen auf Seiten bzw.gegenüber von „Gruppenmitgliedern“ (?) gesteuert sind. Kapitalismus ist nicht die Negation, es ist eine Form des Füreinanders oder besser des menschlichen Für- und Voneinanders, nämlich des füreinander Arbeitens und voneinander Lebens. Nichts anderes bedeutet Gesellschaft bzw. die Gesellschaftlichkeit kapitalistischer Arbeit.

Nach Marx ist das grundlegende Problem der kapitalistischen Form des füreinander Produzierens der merkwürdige Widerspruch ihrer Gesellschaftlichkeit zur Privateigentümlichkeit der Produktaneignung, also das Problem des „entfremdeten“ Für- und Voneinanders, das die füreinander Tätigen (und voneinander Lebenden) unter anderem von der Zumutung befreit, für die sozio-ökologischen Voraussetzungen und Wirkungen ihres Tun und Lassens nach Mitmenschenart gerade stehen zu müssen. Danach wäre die sozialistische Frage die nach Voraussetzungen, Schritten und Perspektiven der Aufhebung des Widerspruchs zwischen dem gesellschaftlichen Charakter und der privaten – d.h. von sozialer Rücksichtnahme befreiten – Aneignung kapitalistischer Produktion. Was muss logisch und historisch, subjektiv und strukturell geschehen, damit Ent-Entfremdung, d.h. die Herstellung  eines Für- und Voneinanders, auf Grundlage gemeinschaftlicher (auch weltgemeinschaftlicher) Bestimmung der Produktionszwecke und  -bedingungen (hinsichtlich deren soziale bzw. ökologische Vernunft) zum weltweit vorherrschenden gesellschaftlichen Entwicklungstrend werden kann?

Selbstverständlich muss die Ergründung historischer Bedingungen der Notwendigkeit, Möglichkeit und Perspektive  weltgesellschaftlicher Vergemeinschaftungsprozesse die bange Frage aufwerfen, was das für die Entwicklung der individuellen Entscheidungsfreiheiten bedeuten müsste. Seit Max Weber und  Ferdinand Tönnies gilt Gesellschaft gegenüber Gemeinschaft als historischer Freiheitsgewinn. Ob aber Honneths Idee weiter hilft, „soziale Freiheit“ (die dem Gebot gehorcht, die Bedürfnisse der Mitmenschen erfüllen zu wollen) als die spezifisch sozialistische Idee von Freiheit zu propagieren?

Das anti-utopistische „Bilderverbot“, das vor der kruden Idee schützen soll, man könne auf Grundlage der notwendig beschränkten Befreiungswünsche und -ideen der Gegenwart eine ideale Gesellschaften der Zukunft konstruieren, und bräuchte fortan nur genügend Mitmenschen bewegen, ihre miese Gegenwart durch die doch wesentlich schönere der utopistischen Fantasie auszutauschen, kann das Bedenken der sozialistischen Persektiven (das nicht nur realistisch sondern hinsichtlich der möglicherweise darin angelegten Probleme auch schongslos sein muss) allerdings auch über Gebühr blockieren und dazu verleiten, alle Energie für die Konstruktion heiliger Prinzipien aufzuwenden.Nicht ausgeschlossen, dass dies die Produktion fantastischer Zukunftsgemälde als abstrakte Malerei fortsetzt.

Wer von der Analyse drängender Menschheitsprobleme ausgeht (wie etwa der drohenden Destabilisierung des Klimasystems) und von hier ausgehend fragt, wie sich die bewältigen lassen, inwieweit Veränderungen auf eine Änderung der grundlegenden Interaktionsbedingungen (Formen der Arbeitsteilung) zielen müssen und können, wie diese beschaffen sein müssen bzw. sollen usw., wird sich weniger mit dem Ausmalen perfekter Freiheitsbegriffe beschäftigen als ganz unaufgeregt fragen, welche und wessen Freiheiten (und Unfreiheiten) für Entstehungen der Probleme ursächlich waren und  welche für deren Bewältigung notwendig sein werden. Außerdem: was dies für die Individuen in Zukunft bedeuten kann und nicht zuletzt: was es auch keinen Fall bedeuten darf.

Über eine sozialistische Transformation sollte so viel klar sein, dass sie nicht auf eine Zwangsvergemeinschaftung der Individuen hinauslaufen darf bzw kann. Sie wäre nur vertretbar und deshalb auch machbar, solange sie auf deren Befähigung zielt, trotz aller Unterschiede in den jeweiligen Bedürfnissen und Möglichkeiten, hinsichtlich der sozialen bzw. ökologischen Voraussetzungen, Bedingungen und Wirkungen des produktiven Füreinanders gemeinsame Ziele formulieren und erreichen zu können. Das läuft auf ein mehr und mehr gemeinsam getragenes globales (Re-) Produktionsgregime hinaus, das auf Grundlage eines – am Ende weltgemeinschaftlichen – Nachhaltigkeitsmanagements funktioniert. Das kann nur als Weiterentwicklung von innerhalb der heutigen (kapitalistischen) Verhältnisse bereits in diese Richtung gehenden (oder bewegbaren) Erkenntnssen, Bedürfnissen, praktschen Ansätzen usw. geschehen.

Solange aber diese „historisch-materialistische“ Erkenntnis fest im Hinterkopf verankert bleibt, scheint es mir durchaus angebracht, sich ein zukünftges Stadium einer solchen Entwicklung vorzustellen, bei dem etwa die Nationen (Kommunen, Branchen usw.) Pläne aufzustellen haben, aus denen hervorgeht, mit welchen Maßnahmen sie in welchen Zeiträummen ihren speziellen Beitrag zur Erreichung der gemeinsam gestecken Ziele leisten können.Und die Gemeinschaft der Nationen (Kommunen, Branchen usw.) gemeinsam dafür Sorge zu tragen haben, dass diese Nationen (Kommunen, Branchen usw.) tatsächlich in die Lage sein werden, die gesteckten Ziele zu erreichen ohne dass dies auf Kosten von Bevölkerungskreisen oder Institutionen ginge, deren aktives oder auch nur passives Widerstreben den notwendigen Erfolg gefährden könnten.

Es sollte auf der Hand liegen, dass die gemeinsam als notwendig erkannten Ziele (etwa hinsichtlich von Produktionsmengen und Methoden, der anvisierten Balance zwischen Arbeits- Familien und Freizeitkonten usw.) nur dann tatsächlich erreicht werden können, wenn dabei zugleich ein Höchstmaß an Freiwilligkeit und an persönlichen Wahlfreiheiten gewahrt wird. Dass beides zusammengehen kann, sieht man am Straßenverkehr. Niemand beschwert sich über einen schmerzlichen Freiheitsverlust, weil er nicht auf Autobahnen picknicken oder nach Belieben links oder recht fahren darf.

Ein globales Nachhaltigkeitsmanagement als Grundlage der Bestimmung adäquater Produktmengen oder -methoden hätte allerdings Einschränkungen zu verwirklichen, die für nicht wenige sehr schmerzlich wären. Es müssten zum Teil sehr lieb gewordene Selbstverständlichkeiten in Frage gestellt werden.Wie viel Baumwolle oder wie viel Fleisch kann bei den als notwendig erkannten Nachhaltigkeitsstandards noch weltweit produziert werden? Was bedeutet das allgemein für den Arbeitsaufwand, der für Bekleidung aufzubringen wäre, oder für die Anforderungen an deren Haltbarkeit oder Recyclebarkeit? Würde eine Fleischverzehrsordnung benötigt, nach der die unterschiedlichen Nationen entsprechend ihrer Besonderheiten nationale Ziele zu formulieren und zu erreichen hätten, die in ihrer Gesamtheit dafür sorgen, dass die gemeinsam vereinbarten Nachhaltigkeitsziele im Hinblick auf die vereinbarten Produktionsmengen und – methoden von Fleisch (und anderen Tierprodukten) tatsächlich erreicht werden?

So etwas könnte unmöglich funktionieren, wenn das von einer isolierten Minderheit so beschlossen und den Menschen, Nationen, Kommunen etc. einfach aufoktroyiert oder gar auf Kosten Schwächerer durchgezogen würde. Das muss auch heißen, dass den Beteiligten für die Wahl der Art und der Einzelheiten ihres Beitrages zu den gemeinsamen Zielen bzw. bzw. unter der Voraussetzung, dass diese nicht gefährdet werden, größtmögliche Freiräume blieben. Das kann nur funktionieren, wenn alle Beteiligten zunehmend gute Gründe finden können, mit eigenem Engagement, eigenen Ideen usw. in den Wettlauf um die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele einzusteigen, Experimente zu wagen, ungewöhnliche Bündnisse einzugehen usw. (Fleischgenießer mssten etwa daran interessiert sein, dass die Zahl der Vegetarier und Veganer in ihrem Verantwortungsbereich möglichst hoch ist, damit für sie genug übrig bleibt)

Zurück zu Axel Honneths Aufarbeitung der „sozialistische Idee der sozialen Freiheit“ wie er sie im 19. Jahrhundert vertreten sieht. Er macht in ihnen drei „Unstimmigkeiten“ in ihrem Verhältnis zu „anderen Freiheiten“ aus. (S. 54)

Erste Unstimmigkeit der von den Sozialisten des 19. Jahrhunderts vertretenen sozialen Freiheit zu anderen Freiheiten nach Professor Honneth:

„Alle Protagonisten der sozialistischen Idee, von Robert Owen über Proudon bis hin zu Karl Marx, teilen von Anfang an wie selbstverständlich die Vorstellung, dass der Hebel zur Schaffung von solidarischen Sozialverhältnissen die Reform oder revolutionäre Überwindung der kapitalistischen Marktwirtschaft sein muss; denn in deren Institution allein soll die eigentliche Ursache für die nur privategoistische Verengung des herrschenden Freiheitsverständnisses liegen, so dass die Durchsetzung einer kooperativen, die revolutionären Versprechungen erfüllenden Lebensweise auch nur von dort aus ihren Ausgang nehmen kann.

S. 54-55

Es scheint schon etwas gewagt, unisono allen sozialistischen Ansätzen, wie sie sich im 19. Jahrhundert herausgebildet atten, das gemeinsame Motiv zu unterstellen, philosophische Bauchschmerzen mit einer „Verengung des herrschenden Freiheitsbegriffs“ behandeln zu wollen, ob der Ansatz nun beispielgebende Experimente eines sozial eingestellten Unternehmers (als Vorbote der Alternativbetriebe der 1970er Jahre) war, in Richtung Anarchismus ging (kein Bock auf Staat) oder mit Marx in Richtung Untersuchung struktureller Entwicklungsbedingungen und deren Wechselwirkung mit der Entwicklung der menschlichen Fähigkeiten (Produktivkraftentwicklung), die nach Marx Auskunft über die Bedingung der Möglichkeit versprechen, ob und wie bzw. ab wann ein geregelter Übergang zu (welt-) kommunistischen Interaktionsbedingungen nicht nur notwendig sondern auch möglich wäre.

Was Marx betraf, gibt es meines Wissens auch keine Hinweise, dass es ihm um eine „kooperativen Lebensweise“ging, die philosophische „Versprechen“ der bürgerlichen Revolution (von Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit) zu erfüllen hätte. Marx ging es darum Entwicklungsbedingungen und mögliche Entwicklungsgrenzen von Gesellschaften zu verstehen, die auf Grundlage kapitalistischer Produktionsbeziehungen funktionieren.

Wie funktionieren und wie entwickeln sich Gesellschaften, in denen zueinander in Konkurrenz um die Möglichkeit der Befriedigung privater Bedürfnisse anderer (Mitmenschen und Institutionen) stehende Verwalter von privatem Bereicherungsvermögen (in Gestalt von Produktionsmittel- und Geldbesitz) Rohmaterial, Produktionsmittel und Arbeitskräfte einkaufen, um die damit geschaffenen Arbeitsergebnisse gegen eine Menge Geld einzutauschen, die am Ende mehr (privateigentümliche) Kaufkraft repräsentiert als zu Beginn eingesetzt werden musste? Außerdem: Wird die außerordentliche Dynamik der Produktivkraftentwicklung, wie sie den der Warenproduktion eigenen Formen der Konkurrenz um private Vorteile notwendig erwächst, die Aufhebung des grundlegenden Widerspruch zwischen der Gesellschaftlichkeit der kapitalistischen Produktion und ihr eigenen Privateigentümlichkeit der Produktaneignung zu einer historischen Notwendigkeit UND zugleich möglich machen? Und wie, wodurch usw. könnte das gescheen? Es geht also um die Bedingungen der historischen Notwendigkeit (und Möglichkeit) neuartiger Produktionsbeziehungen, die solidarische Formen des Zusammenwirkens und des bewusst (z.B. umweltbewusst) gestalteten Stoffwechsels (Stoffbedeutungswechsels) mit der Naturmwelt ermöglichen. Das ist mit dem Begriff „kooperative Lebensweise“ eher nicht so trefflich erassbar.

Zweite Unstimmigkeit der von den Sozialisten des 19. Jahrhunderts vertretenen sozialen Freiheit zu anderen Freiheiten nach Professor Honneth:

Darüber hinaus stimmen die Vertreter der Bewegung darüber überein, dass in den gegebenen Verhältnissen die für den Umsturz erforderlichen Motive und Bereitschaften bereits vorhanden sind, weil die Arbeiter, Produzenten und Manager ein ureigenes Interesse besitzen müssen, den kapitalistischen Markt durrch eine wie auch immer kooperativ organisierte Wirtschaftsweise zu ersetzen; durch diese zweite Voreinnahme macht sich die neue Doktrin zum Ausdrucksorgan bzw.zur Reflexionsinstanz einer bereits innerhalb der Gesellschaft existierenden Oppositionskraft, so dass das Verhältnis der Theorie zur  Praxis dementsprechend als eines der Schulung, Informierung oder Aufklärung eIner klar bestimmbaren sozialen Gruppe gedacht werden muss

S. 55

Erneut scheint der Kritiker zwischen den einzelnen Strömungen, für die Owen, Proudon und Marx exemplatrisch stehen mögen nicht differenzieren und auch keine Ambivalenzen und Entwicklungen sehen zu wollen, wie sie etwa bei Marx zu finden sind. Was ist gegen Philsophie als Ausdruck und Reflexionsinstanz bereits innerhalb der Gesellschaft existierender Oppositionskräfte zu sagen? Marx war keineswegs der Arbeiterromantiker als den Honneth ihn hinzustellen versucht. Ebenso wie Engels sah er, dass die Lohnabhängigen aus ihrer sozialen Lage heraus lediglich zu einem gewerkschaftlichen Bewusstsein finden und keineswegs die „Überwindung der kapitalistischen Marktwirtschaft“ als Lösungsweg für ihre Probleme sehen. Dafür bedürfe es der Verbindung von Arbeiterbewegung und sozialistischer bzw. kommunistischer Wissenschaft bzw. Philosophie – etwa hinsichtlich der Notwendigkeit inter- bzw. transnationaler Bündnisse bzw. Perspektiven. Die Aufgabe sozialistischer Wissenschaft bzw. Philosophie sahen sie auch nicht in der Belehrung (ein leider durchaus verbreitetes Missverständnis) sondern in einer Kombination aus wachsendem Erkenntnisinteresse, wie sie aus der gesellschaftlichen bzw. politischen Praxis im Kampf um bessere Existenz- bzw. Arbeitsbedingungen usw. erwächst und der Analyse und Aufklärung struktureller Handlungsbedingungen (mitsamt der ihnen eigenen Bewusstseinsschranken) und unter Bedingungen (logischer wie historischer Natur) diese gegebenenfalls nicht nur überwunden werden sollten, sondern dies auch möglich würde.

Verwechselt Honneth etwa die marx-engelsschen Perspektive mit deren vulgärmarxistischer Verkürzung, wie sie innerhalb des Marxismus (und nicht zuletzt von Marx selber) als „Ökonomismus“ beschrieben und kritisiert wird? Natürlich muss sozialistische bzw. (öko-) kommunistische Wissenschaft, Philosophie bzw. Praxis heute ein Abbild und Organ der Reflexion einer  ganzen bunte Palette sozialer Emanzipationsbewegungen sein und herausarbeiten, wo überall die Perspektive gemeinsamer Verantwortung für die sozio-ökologischen Voraussetzungen und Wirkungen der Produktion (Pflege, Nutzung Nachsorge usw.)  angelegt und in diese Richtung voranzubringen ist.

Dritte Unstimmigkeit der von den Sozialisten des 19. Jahrhunderts vertretenen sozialen Freiheit zu anderen Freiheiten nach Professor Honneth:

 „Und schließlich neigen alle Anhänger der sozialistischen Bewegung drittens zu der Annahme, dass  sich die angestrebten Veränderungen der Sozialverhältnisse mit einem gewissen Grad von von historischer Notwendigkeit werden vollziehen müssen, weil die kapitalistische Marktwirtschaft entweder an den von ihr produzierten Krisen selbst zugrunde gehen ihrerseits ökonomische Kräfte der Vergemeinschaftung freisetzen oder aufgrund der kausal verursachten Verelendung einen immer mächtiger werdenden Widerstand produzieren wird…“.

S.55

Aus Verelendungs- und Zusammenbruchstheorien gestrickte Heilserwartungen sind von Übel. Auf Endkrisen des Kapitalismus zu hoffen, auf dass diese eine globale Revolte auslösen möge, auf deren Welle sich dann schwuppdiwupp des Menschen Recht auf „Sonn‘ ohn‘ Unterlass“ erkämpfen ließe, und der so begründete Glaube, dass es also nur darauf ankäme, das Unvermeidliche abzukürzen, hatte in der Vergangenheit fatale Fehlschlüsse befeuert – und zwar gleichermaßen auf Seiten der revolutionären und der reformistischen Jünger des unvermeidlichen „Kladderadatsches“. Das sollte aber nicht dazu verleiten, nun umgekehrt jedes Forschungsinteresse und jegliche Erkenntnisse hinsichtlich der Möglichkeit zu verweigern; dass das menschliche Für- und Voneinander auf Grundlage kapitalistischer Interaktionsbedingungen eine Dynamik (der Produktivkraftentwicklung) entfalten könnte, die es unweigerlich an historischen Grenzen seiner Akzeptanz führen muss und die Etablierung von (dem Grad der Produktivkraftentwicklung) angemesseneren Formen der Vergesellschaftung zum weltweit vorherrschenden Bedürfnis werden lässt.

Ausgehend von der Beobachtung, dass die historischen Wechsel in der Art, wie sich das menschliche Für- und Voneinander formiert, bisher stets von Fortschritten in der Entwicklung der menschlichen (bzw. von Menschen dirigierten) Produktivkräfte (oder deren Blockade) ausgelöst worden war, war Marx bemüht, „Naturgesetze“ kapitalistischer  Produktions- bzw. Vergesellschaftungsweisen herauszuarbeiten, in denen die Möglichkeit der „Negation“ der vorherrschenden Bedingungen von Produktion und Aneignung der gesellschaftlichen Mittel der Existenzsicherung und Bereicherung angelegt ist. Dass diese Fragestellung ein bewusstes Umgehen mit der Gefahr erfordert, den forschenden Blick allzu sehr auf Anzeichen für das erwartete Ergebnis hin auszurichten, sollte klar sein. Wenig überraschen sollte auch, dass keine gesicherten Prognosen sondern lediglich ein gewisses Verständnis der Mechanismen (Entwicklungsbedingungen) auf Grundlage des historischen Wissensstands erwartet werden kann, und nur Aussagen über Notwendigkeiten, Möglichkeiten oder auch Wahrscheinlichkeiten erlauben – und sich daraus entwickelnde Thesen im späteren Rückblick durchaus blamieren können (insbesondere, wenn sie als Gewissheiten formuliert waren).

Um Marx als Verelendungstheoretiker hinzustellen muss diese Einsicht gerade negiert, einzelne Aussagen aus dem Zusammenhang gerissen, verabsolutiert und zu einer überhistorische Gültigkeit beanspruchenden Wahrheitsbehauptung versteinert werden. Die war aber niemals beabsichtigt. Marx war kein Anti-Kapitalist, der einseitig alles zusammenzusammeln bemüht war, das den verhassten Kapitalismus nur irgendwie delegitimieren könnte; er sah im Gegenteil selbst in der Entfremdung kapitalistisch vergesellschafteter Individuen (zu den Mitmenschen, zu der der menschlichen Natur eigenen Fähigkeit, einen nachgefragten Nutzen zielgerichtet her- und bereit zu stellen  und zur Naturumwelt) ein notwendiges Stadium der menschlichen Emanzipationsgeschichte, das die menschlichen (und von Menschen dirigierten) Produktivkräfte und die auf deren Grundlage wachsenden Veranlagungen der Individuen erst zu einer Höhe treibt, die den Gedanken an die Notwendigkeit der Herstellung eines Für- und Voneinanders auf Basis (öko-) kommunistischer Vergesellschaftungsweisen überhaupt erst denkbar bzw. zu einer Idee von welt-) gesellschaftlicher  Relevanz heranwachsen lässt.

Noch einmal Honneth:

Mit beinahe ausschließlichem Blick auf die wirtschaftliche Sphäre wird davon ausgegangen, dass allein in deren kapitalistischer Verfassung die Ursachen für die Nötigung zu finden sind, die neugewonnenen Freiheiten bloß im Sinne der privaten Verfolgung individuell gesetzter Absichten zu verstehen;  gegen die daraus resultierende Aushöhlung des Sozialen durch Konkurrenz und Wettbewerb hat sich aber innerhalb dieser wirtschaftlichen Sphäre bereits eine proletarische Gegenbewegung der ökonomischen Vergemeinschaftung gebildet, an die die sozialistische Doktrin nun als deren reflexives Organ anknüpfen kann, um durch geschickte Aufklärung und Schulung den geschichtlichen Prozess voranzubringen, der mit einer gewissen Notwendigkeit zu einer kooperativen Umgestaltung der gesamten Produktionsverhältnisse und von dort aus zur Errichtung von einer umfassenden Gemeinschaft füreinander tätiger Mitglieder führen wird.

S. 56

Zwar hätten die Vorstellungen über die Wege variiert, wie „der Endzustand einer Assoziation aller Produzenten“ erreicht werden könne..

Aber die drei genannten Annahmen, – die wirtschaftliche Sphäre als zentraler, ja einziger Ort der Austragung des Kampfes um eine angemessene Form der Freiheit, die reflexive Rückbindung an eine dort bereits vorhandene Oppositionskraft, und schließlich die geschichtsphilosophisch aufgeladene Erwartung eines mit Notwendigkeit eintretenden Siegeszugs dieser existierenden Widerstandsbewegung – bilden doch die konstituierenden Eckpfeiler , zwischen denen der gesellschaftstheoretische Denkhorizont gespannt ist. innerhalb dessen sich die Sozialisten ihre gemeinsame Idee der sozialen Freiheit zur Entfaltung gebracht haben.

Hiernach setzt sich Honneth mit den von ihm entdeckten Prämissen einzeln auseinander, was Thema der Fortsetzung dieser Betrachtung sein wird.

Aber erst einmal zu dem obigen Abschnitt:

Klasseninteressen scheint es in dieser Betrachtung keine zu geben, kein mühseliger Prozess der politischen Emanzipation, also kein  Dreiklassenwahlrecht, kein Problem des fehlenden Frauenwahlrechts, unzureichender Bildungsmöglichkeiten oder der Unterdrückung von Parteien, die Arbeiterinteressen vertreten. Auch gibt es hier keine Systematik im Verhältnis von Politik (Religion, Recht usw.) und der vorherrschenden Art der zu regelnden Produktionsbeziehungen und die Frage nach Zusammenhängen Unterschieden, Grenzen und Perspektiven politischer und sozialer Emanzipation.

Es sieht an dieser Stelle von Honneths Bemühung um Sozialismuserneuerung tatsächlich so aus, als stelle sich die Geschichte für ihn als Geschichte eines mehr oder weniger falschen bzw. richtigen Verständnisses von Freiheit dar und als sehe er die reale Geschichte durch Widersprüche des Begriffs Freiheit zur sozialen Wirklichkeit von Brüderlichkeit bzw. Solidarität und Gleichheit vorangetrieben. Es käme also darauf an, die von den sozialistischen Philosophen des 21. Jahrhunderts mit dem Begriff der „sozialen Freiheit“ versuchte Aufhebung  dieser Widersprüche (zum Reinheitsgebot des Begriffs Freiheit und deren freundschaftlichen Verbindung zur Brüderlichkeit und Gleichheit) von einer Reihe von Unzulänglichkeiten zu befreien,. Das wären in Honneths Augen: die irrige Vorstellung, dass „sich innerhalb dieser wirtschaftlichen Sphäre bereits eine proletarische Gegenbewegung der ökonomischen Vergemeinschaftung gebildet“ habe und diese „durch geschickte Aufklärung“ dazu gebracht werden müsse, einen geschichtlichen Prozess voranzubringen, der „mit einer gewissen Notwendigkeit zu einer kooperativen Umgestaltung der gesamten Produktionsverhältnisse und von dort aus zur Errichtung von einer umfassenden Gemeinschaft füreinander tätiger Mitglieder führen wird.“

Dass füreinander tätig zu sein zumindest nach Marx / Engels keineswegs eine „umfassende Gemeinschaft“ voraussetzt, sondern sich das Füreinander, wie die kapitalistischen Produktionsbedingungen zeigen, auch „hinter den Rücken der Akteure“ herstellen kann, habe ich bereits erwähnt.Der Witz an einer wissenschaftlich einigermaßen korrekten Begründung sozialistischer Perspektiven sollte ja gerade sein, die historische Notwendigkeit, Möglichkeit, mögliche Formen und Vernunft bzw. ethische Vertretbarkeit einer weltweiten Transformation der  (Re-) Produktionsbedingungen, die in Richtung ihrer (welt-) gemeinschaftlichen Kontrolle ginge, (bzw.  deren Entwicklungsbedingungen) aufzuzeigen und zu erörtern.

Erwähnt habe ich auch bereits, dass die im Lohnabhängigen-Dasein tatsächlich angelegten Vergemeinschaftungsbedürfnisse in der marx-engelsschen Perspektive zunächst lediglich darauf angelegt sind, das eigene Arbeitsvermögen nicht zu Löhnen unterhalb des Existenzminimums anbieten zu müssen, bzw. aus Not selbst eine Lohnabwärtsspirale in Gang zu halten. Aber damit ist keineswegs ein Klasseninteresse unterstellt, das spontan nach Auflösung der Klassengesellschaft bzw. der Ermöglichung (welt-) kommunistisch bestimmter Produktionsbedingungen und -zwecke verlangt. Bereits die Entwicklung internationaler Solidarität (als logische Voraussetzung einer solchen Perspektive) ist zwar einerseits eine der Internationalisierung der Produktionsverhältnisse folgende natürliche Erweiterung des spontanen Bedürfnisses nach der Freiheit, den freien Wettbewerb um einen Arbeitsplatz einschränken zu können, andererseits zeigen gerade auch Marx Analysen, dass dem Drang nach internationaler Verbrüderung (Solidarisierung) eine Reihe von Mechanismen gegenüberstehen, die  dem entgegenwirken.

Nationale Konkurrenz um Arbeitsplätze, Wertschöpfung und damit auch von der Handlungsfähigkeit des „eigenen“ Nationalstaats machen – aus gutem Grund – gerade auch die von Lohn- und Gehaltserwerb abhängigen Klassenbrüder und -schwestern  ängstlich im Hinblick auf alles, was „eigene“ Unternehmensstandorte gefährden könnte. Kapitalistische Produktionsverhältnisse beschränken sich auch nicht auf die Beziehungen zwischen Arbeitsvermögenden und die deren Arbeitskraft nutzenden Agenten der privilegierten Verfügung über die außerhalb des menschlichen Körpers vergegenständlichten Produktionsmittel.Es gibt auch zwischen den „Klassenbrüdern und -schwestern“ gegensätzliche Interessen. Als Konsument*innen wollen sie möglichst preisgünstig einkaufen, als Menschen, die das eigene Arbeitsvermögen zu Markte tragen oder als Bürger, die an der nachhaltigen Reproduktionsfähigkeit ökologischer Systeme interessiert sind, wollen sie aber nicht die sozialen bzw. ökologischen Kosten der attraktiven Warenpreise ertragen.

Dummerweise sorgen die kapitalistischen Vergesellschaftungsformen dafür, dass dem Alltagsbewusstsein solcherart „horizontale“ Gegensätzlichkeiten in den Interessenslagen verborgen bleiben. Das ist keineswegs so, weil Meinungsmanipulation, Medienmacht oder irgendwelche herrschenden Diskurse die Menschen den ursprünglich klar gerade aus denkenden Kopf verdrehen. Die Marktbeziehungen erscheinen schlicht nicht als menschliche Beziehungen sondern als Beziehungen von und zu Sachen, was bedeutet, das Ausbeutung auf der einen Seite der Handlungskette auf der anderen Seite ohne weiteres nur als günstiger Preis der begehrten Ware  wahrgenommen werden kann und weil sich darin der Lohn der eigenen Anstrengungen spiegelt, letztlich gar als ein Zuwachs an sozialer Gerechtigkeit erscheint. (Siehe Sind wir des Warensinns)

Marx Analyse des Fetischcharakters der Ware emanzipationsproduktiv nutzbar zu machen hieße vielleicht zu verstehen, dass Arbeiteremanzipation keine wäre, wäre sie nicht zugleich Befreiung aus der einkaufsspadadiesischen Unschuld bzw. Aufhebung der dem Kapitalsmus eigentümlichen Entfremdung zwischen Produktion, Konsum und Umweltschutz. Marx „Utopie“ war auch keineswegs, wie Honneth es unterstellt, eine (brüderliche) Assoziation  von (gleichgestellten) Produzenten. Marx sprach von einer „Assoziation freier Menschen“, die nicht nur jenseits „des stumen Zwangs der ökonomischen Verhältisse“ (nämlich auf Basis freiwilliger Übereinkünfte) füreinander tätig sind, sondern  auf dieser Basis auch voneinander leben. Sozialismus ist in dem Verständnis die Herstelllung der Möglichkeit, das menschliche Für- und Voneinander und den dabei notwendigen Stoffwechsel mit der Natur bewusst (also zum Beispiel auch umweltbewusst) zu gestalten, was nur heißen kann, mittels freiwilliger.Übereinkommen auf Basis von Wissen über die jeweiligen Bedürfnisse und Fähigkeiten.

Fortsetzung folgt in Bälde

 

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