Fetisch des Fetischcharakters?

22. Februar 2009

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Wer wissen möchte, wie kapitalistisches In-der-Umwelt-Sein bzw.kapitalistische Umweltverhältnisse mit mangelndem Umweltbewusstsein bzw. -verhalten zusammenhängen, kommt um Marx Abhandlungen über den Fetischcharakter der Ware nicht herum.

Wie die (aus den privateigentümlichen Produktions- bzw. Aneignungsweisen unweigerlich hervor gehende) „Wahrnehmung sozialer Verhältnisse als Verhältnis von Sachen“ entsprechend beschränktes Verantwortungs- oder  (Un-) Rechtsbewusstsein hervor bringt und was gegen den Warensinn helfen könnte ist in dem Beitrag „Sind wir des Warensinns?“ behandelt.

Die Auseinandersetzung mit dem Fetischcharakter kann allerdings auch ganz seltsame Blüten treiben.  In seinem 2002 erschienenen Aufsatz  „Das Fetischismus-Konzept von Marx und sein Kontext“ äußert sich der Lehrstuhlinhaber des Kulturwissenschaftlichen Seminars der HU Berlin, Professor Dr. Böhme, begeistert über „Marx Fetisch-Konzept“. Das zeige nämlich, dass auch „die Moderne“ im Kern irrational und die einstige Verachtung afrikanischer Fetisch-Rituale deshalb wohl nur eine Projektion katholisch sozialisierter Euro-Zentristen  gewesen sei.  Soweit so gut! Erkenntnisreich beschreibt Böhme z.B. die Geschichte dieser Projektion und zeigt wie in manchen ländlichen Regionen Afrikas Fetischrituale eine soziale Verständigungsgrundlage schaffen, auf deren Basis der dem Fetisch verliehene Zauber tatsächlich wirkt.

Doch genau so stellt sich Böhme offenbar auch den Wirkungszusammenhang des  „Warenzaubers“  der bürgerlichen Welt vor.  Marx Erläuterungen der Voraussetzungen, Mechanismen und Probleme der verkehrten Wahrnehmung sozialer Verhältnisse als Verhältnisse von Sachen vollzieht Böhme nicht nach.  So sieht er auch nicht, dass deren Witz es gerade ist, dass diese unabhängig vom Willen (und den psychischen Motiven) der Menschen immer aufs Neueaus den privateigentümlichen Formen kapitalistischer Vergesellschaftung hervorgehen.

Stattdessen unterstellt Böhme nun Marx, der seiner Meinung nach hier „alles durcheinander bringt „, (?)  mittels geschickter Rhetorik und Metaphorik „ohne Zweifel“ erst die verzauberte Welt des Kapitalfetischs geschaffen, und lediglich seine eigene „Fetischisierung des Warenfetisch“ auf die „der Moderne“ projiziert zu haben.

Auf die skurrilen Einzelheiten der Böhmschen Vorstellung von der „Materialisierung“ marxscher Ideen näher einzugehen, fehlt es mir derzeit leider an Muße. Es sei aber auf die wunderbare Kritik  von Ingo  Elbe verwiesen: Hartmut Böhme:  Fetischismus und Kultur. Eine andere Theorie der Moderne

Die Böhm‘ schen Projektionen zeigen, wie schwer es gerade für „Bewusstseinsarbeiter“ ist, sich ein Bewusstsein davon zu erarbeiten, was es für das eigene Erkenntnisvermögen bedeutet, wenn die Notwendigkeit fehlt, sich die Einzelheiten der – sich unter kapitalistischen Behauptungsbedingungen unwillkürlich hinter den Rücken der Akteure herstellenden – Vergesellschaftung durch den Kopf gehen zu lassen.

Das wird auch dadurch erschwert, dass die privateigentümlich kopflose Form der Arbeitsteilung dafür sorgt, dass auch die als Vergesellschaftungs-Vorstellungs-Mittel fungierenden Begriffe ihre Funktion als mehr oder minder passende „Griffe an der Wirklichkeit zu ihrer besseren Handhabung“ nicht hinreichend erfüllen können.

Es versteht sich, daß die Aufhebung der Entfremdung immer von der Form der Entfremdung aus geschieht

Marx: Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844.MEW Bd. 40, S. 553

Begriffe wie “Freiheit”, “Gerechtigkeit”, “Entfremdung” ” Kapitalismus” , “Sozialismus”, “Produktivkräfte”, “Fortschritt”, “Entwicklung”,  “Natur”,  “Politik”, “Gott”, “Rationalität”, “Bedarf”, “Bedürfnisse”,” Selbstbestimmung” oder auch  “Fetischisierung” erscheinen uns als Fixsterne des Denkens und Handelns!

Sie gelten als die wahren Mittel der Erleuchtung oder zumindest der Beleuchtung des Elends dieser Welt und wie dem zu begegnen sei. Da sie der Orientierung dienen, ist deren Deutung – oft hart manchmal blutig – umkämpft.  Sie stehen für Protest gegen wirkliches Elend, für Seufzer  bedrängter Kreaturen, sind Herz ungemütlicher Zeiten und Geist geistloser Zustände (vgl .  MEW Bd. 1, S. 378)  Manchen versetzt ihr Gebrauch in einen wohligen Rausch.  Aber Vorsicht! Vor Halluzinationen wird gewarnt.

Fern aller konkreten Beziehungen, Interessen und Instinkte wirklicher Menschen und deren Behauptungsbedingungen beginnen uns diese mit eigenem Geist beseelt vorgestellte  Erscheinungen auf der Nase herum zu tanzen und dem menschlichen Denken und Handeln mal diesen und mal jenen Geruch zu verleihen ohne dass sich deren  Spur ins alltägliche  Leben konkret nachvollziehen ließe.

Um so besser kann ihr geschickter Gebrauch Flügel und übermenschliche Kräfte verleihen, die Menschen fesseln, ihnen Orientierung geben und  an der Nase herum führen. Doch nachhaltiges „Uns-aus-dem-Elend-zu-erlösen“ funktioniert so sicher nicht.

Was tun?!

Wie der Warenfetisch lässt sich ein dem sozialen Kontext entfremdeter Begriffsfetischismus  nicht einfach aus dem Kopf schlagen.  Das mag auch nicht in jedem Fall notwendig sein. Mit Hilfe der genannten Mittel der Orientierung (innnerhalb orientierungsloser Verhältnisse) lassen sich viel gute Dinge anstellen und alles ist halt eine Frage sozialer Kämpfe um Deutungsmacht.

Doch bei allem gebotenen Realismus: ein rationaler Diskurs, die Konstruktion einer „idealen Diskursgemeinschaft“ braucht eine Entfetischisierung der sprachlichen Wahrnehmungsmittel. Aber wie soll das gehen?

Faustregel: Um so klarer ihr Kontext, desto handhabbarer wird die begriffliche Erfassung der Wirklichkeit.

Nichts gegen „Entzauberung“ etwa eines trotz (oder wegen?) einer imperialistische Praxis spirituell aufgeladenen Begriffs von  „Rationalität“!

Aber was hilft es, „die Rationalistät“ oder (auch sehr beliebt, aber doppelt mystifizierend) „die westliche Rationalität“ etwa für Prozesse der Verdrängung von lokal angepassten Wirtschaftsweisen mit hoher Agrobiodiversität verantwortlich zu machen?  Welche Konsequenzen außer hilfloses Geister-Abschwören und Begriffs-Verteufelungen aller Art ergeben sich aus einer solchen Ursachenbestimmung?

Um dennoch den Tatsachen auf der Spur zu kommen, muss zumindest danach gefragt werden, in welcher Hinsicht und für welchen (und wessen) Zweck (oder Zeitrahmen) ein bestimmter Gedanke,  Plan, Spielraum, eine bestimmte Methode,  Produktionsweise  oder auch ein bestimmtes Gefühl  zweckdienlich und deshalb rational ist Und in welcher Hinsicht usw. nicht?

These: Alle Rationalität ist Zweckrationalität.

Selbst die sprichwörtliche Blindheit und zeitverschwenderische Verrücktheit Liebender oder der Spaß an künstlerischer Freiheit folgt mehr oder minder bestimmbaren Zwecken. Furztrockenheit und offensichtliche Berechnung wäre hier wenig rational.

Rationaler Diskurs und Entfetischisierung brauchen eine andere Art der Arbeitsteilung

Fehlt es an Möglichkeiten und wird keine Notwendigkeit gesehen, die Entwicklung und Anwendung der menschlichen Lebens- und Bereicherungsmittel  miteinander abzustimmen, erscheint das spezifisch Menschliche,  nämlich Arbeit nicht als freie Umgestaltung der Umwelt zu einem vorher (mit-)bestimmten  sozialen Zweck sondern als eine fremde, unbeherrschbare Angelegenheit, deren  Ergebnisse und Voraussetzungen einem nichts angehen.

Sozialismus hieße Verallgemeinerung des Vermögens, nach den sozialen Zwecken und den für deren Erfüllung notwendigen bzw. zu akzepzierenden Kosten des eigenen Tuns zu fragen,  danach gefragt zu werden und als ein das lokale und  globale Miteinander aktiv mitgestaltender Mensch gefragt zu sein. Nur in so weit die Individuen in entsprechende Rechtfertigungsverhältnissen hinein sozialisiert werden können und sich in ihnen behaupten müssen, können die individuellen Fähigkeiten, Bedürfnisse und Taten als gesellschaftlich bewusste Produuktivkräfte eingebracht (und behandelt) werden. Die Phrasen vom Selbstzweck hören auf und gemeinschaftliches (auch weltgemeinschaftliches) Zwecksetzen tritt an deren Stelle.

„Freiheit“, „Gleichheit“, „Geschwisterlichkeit“ waren die gedanklichen Fixsterne  der menschlichen Emanzipation in den Grenzen des Warenverkehrs. Von nun an geht es um die Erarbeitung der Möglichkeit, als  frei assoziierte Persönlichkeiten und Zusammenschlüsse gesamtgesellschaftlich rational denken und handeln zu können.

hh


Ökokapitalistischer New Deal? Na klar!

5. Februar 2009

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Der im Zuge der „Finanzmarkrise“ 2008 /09 innerhalb der Grünen aufgenommene Green New Deal Ansatz  verlor sich bald im politisch Bedeutungslosen, nachdem es in Deutschland relativ schnell gelungen war, mit einigen Notmaßnahmen wie Kurzarbeit, Abwrackprämie den Konjunkturmotor wieder anzuwerfen. Warum nur wurde der Ansatz nicht weiterentwickelt und warum hörte man etwa so gut wie nichts von Green New Deal Vorschlägen als Grundlage eines rot-grünen Europa-Projektes gerade hinsichtlich der Krise in den südlichen Ländern? Die Rentendiskussion der 2010er Jahre  fand ohne die Grünen statt. Das wäre mit Sicherheit anders, wenn die Grünen die Ökosteuer als Finanzierungselement im Rahmen eines GND  eingebracht hatten.

Die GND Überlegungen lösten sich in die sehr wenig auf Strategieentwicklung angelegte Wachstumskritikdebatte auf  und überlebte nur noch als identitätsstiftende Schmähkritik des „linken“ Anti-Kapitalismus, der von der Linkspartei dankbar als Jungbrunnengeplätscher aufgenommen wurde.

Nun hat sich in den USA aus dem Widerstand gegen den Trumpismus heraus eine Bewegung für ein Green New Deal entwickelt, der die Karten neu mischen.  http://www.greennewdealgroup.org/

Ein sehr guter Anlass, das Thema wieder aufzunehmen. Es dürfte sich nun zum Kernbereich des begonnenen Buchprojektes auswachsen.

Hier erst einmal die ollen Kamellen ab 2009

 

Mehr (Öko-)Sozialismus wagen heißt natürlich Ja zu Ökokapitalismus und ökologischem New Deal!

„Als die Europäischen Grünen vor knapp zwei Jahren gesagt haben, wir müssen eine globale Antwort auf die Krise geben, sagten die in der grünen Bundestagsfraktion: Green New Deal – was ist denn das? Das versteht doch keiner. Die haben das immer nur runtergeredet. Aber irgendwann hat sich das durchgesetzt, dass man weiter ausholen muss. Darum geht es: Man muss weiter ausholen. (…) Aber (wenn) die Grünen sich damit begnügen zu sagen, wir sind die Partei, die Reformen machen kann, dann geht es nicht. Wir müssen im Denken viel radikaler werden.“

Daniel Cohn-Bendit in der Taz vom 19./20.09.09

So wenig, wie militärische Konflikte mit rein militärischen Mitteln  beendet werden können, ist die augenblickliche Krise der politischen Ökonomie mit rein ökonomischen  Mitteln zu bewältigen.

Denn sie ist zugleich Ausdruck und Ergebnis von „Entfremdung“ der dominierenden Produktionsantriebe von den Zwecken, Voraussetzungen und Nebenwirkungen der Produktion. Die können allesamt nicht auf einer mitmenschlichen Weise bestimmt werden. Nicht Wissen um und Leiden an ökologischer Verödung oder Erkenntnisse (und entsprechende Abkommen) darüber, was für ein zukunftsfähiges, ökologisch tragfähiges Miteinander von bald 7 Milliarden Erdenbürger/innen zu tun wäre,  welche Produktivkräfte dafür zu entwickeln wären und wie die (gemeinsam) zu schaffen, einzusetzen und zu kontrollieren wären,  bestimmen die Produktionszwecke und -methoden, sondern der blinde Wettlauf um Konkurrenzvorteile  beim privaten Plusmachen. Konkurrenzvorteile sind für die Unternehmen überlebenswichtig und die haben Einsparen des Arbeitsaufwands und damit die Fähigkeit zur Befriedigung immer mehr privater (also nicht unbedingt sozial bzw. ökologisch reflektierter) Bedürfnisse zur Voraussetzung.  Struktureller Wachstumszwang!

Ob Arbeitsersparnis und Wachstum Folge intelligenter Technik und Arbeitsorganisations ind, die Natur und Gesundheit schonen, oder im Gegenteil Folge von Raubbau, ist für den – Vorsicht nichtssagende Phrase!  – „wirtschaftlichen Erfolg“ ebenso egal, wie die Bedeutung der Produktionserfolge für persönliches Lebensglück oder ob sie  einen Zugewinn an sozialer Handlungskompetenz bringen.

Die Krise einer solchen politischen Ökonomie bedarf deshalb der Kritik einer politischen Ökologie. Wo kann diese ansetzen?

Das führt zu der Frage, was an den öffentlich verhandelten Lösungsstrategien am Ehesten in Richtung einer sozialen Zweckbestimmung geht, der Arbeitsersparnis untergeordnet ist (und nicht umgekehrt) und die den ökologischen Herausforderungen am ehesten gerecht wird.

Hier sollen deshalb in Richtung eines „Ökologischen New Deals“ formulierten Vorstellungen vorgestellt werden

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