Versuch, Hartmut Rosas Lob der UNVERFÜGBARKEIT zu verstehen (2)

1. Januar 2021

Zu Teil 1

Außer dass ich durch die grüne Marx-Brille auf Hartmut Rosas Werk blicke, interessiert mich, was es womöglich für die Entwicklung der Fähigkeit beitragen könnte, mit der beginnenden Klimakrise fertig zu werden. Heißt: aus meiner Sicht sollte eine im Jahre 2010 veröffentlichte soziologische Arbeit über UNVERFÜGBARKEIT als Erstes beschreiben, welche Art freie Verfügbarkeiten über Ressourcen (und Mittel, sie zu verarbeiten) zu der gefährlichen Anreicherung der Erdatmosphäre mit „Treibhausgasen“ und anderen Gefährdungen ökologischer Grundlagen der weiteren Zivilisationsentwicklung geführt hat. Vor allem aber wäre herauszuarbeiten, wie die Entwicklung und die Verfügbarkeit über menschlichen und außermenschlichen Ressourcen geregelt werden müsste, damit die Produktion dessen, was für ein gutes Leben weltweit benötigt wird, nicht zugleich die Grundlagen des guten Lebens aller zerstört.

Vielleicht kommt Hartmut Rosa noch dahin, aber erst einmal scheint seine Sorge eher dem Verlust an Unvorhergesehenem als solchem und einem möglichen Verlust der Freude daran zu gelten, was „ohne unser Zutun“ zum Geschenk werden kann – wie etwa unverhoffter Schneefall. Dass Wintersportgeschäftsleute über unromantische Entzauberungsmaschinen verfügen wie etwa „Schneekanonen“ und „Kunstschnee, der auch noch bei 15 Grad plus durchhält“ (S.7), missfällt Rosa. Und ja, dem könnte ich beipflichten, denn auch aus Klimaschutzgründen müsste dem Schneekanonenvergnügen wohl Einhalt geboten werden. Allerdings wäre dann darüber zu reden, was die neue Unverfügbarkeit von an Schneefall unabhängigen Wintersportkulturangeboten und den damit im Zusammenhang stehenden Verlusten an Wintervergnügungen (Profite, Arbeitsplätze, Steuereinnahmen usw.) anrichten könnten und was die beste Art wäre, daraus das Beste zu machen. (Es möglich zu machen, dass weniger energieintensive Geschäftsfelder, Freizeitvergnügen usw. angeboten werden, oder wie es möglich gemacht werden kann, dass für ein gutes Leben weltweit weniger gearbeitet werden muss?)

Rosa scheint allerdings an dieser Stelle (S. 8) mehr daran gelegen, der Unverfügbarkeit an und für sich zu einem besseren Ruf zu verhelfen. Schließlich sieht er aus der Begegnung mit ihr „aber Lebendigkeit, Berührung und wirkliche Erfahrung“ (S.8) erwachsen.“

Das Wörtchen „aber“ deutet darauf hin, dass Rosa es für eher ausgeschlossen hält, dass aus der Verfügbarkeit über Schneekanonen und Kunstschnee „Lebendigkeit, Berührung und wirkliche Erfahrung“ hervorgehen können. Diese Behauptung wäre allerdings leicht zu widerlegen. Schließlich ist es doch gerade das Problem, dass die mit technologischen Mitteln geschaffene Erweiterung der Möglichkeiten, im Schnee „Lebendigkeit, Berührung und wirkliche Erfahrung“ zu finden, es so schwierig macht, die Verfügbarkeit des dazu nötigen Equipments trotz ihres riesigen Energiehungers und der gewaltigen Schäden, die das anrichtet, einzuschränken oder ganz zu verunmöglichen.

Es sieht ein wenig so aus, als kommt es dem Autor zunächst einmal nicht so sehr auf die tatsächliche Stimmigkeit seiner Aussagen an, sondern auf die Einstimmung auf die eigene Weltsicht, hervorgezaubert durch die Allgemeinheit seiner Aussage, die bei vielen das Gefühl zu hinterlassen vermag, dass auf jeden Fall etwas dran ist. Wie bei einem Horoskop fällt jedem und jeder garantiert irgend etwas selbst Erlebtes oder Empfundenes ein, das die Wahrheit der Aussage zu bestätigen scheint.

Die nächste Aussage bestärkt mein diesbezügliches Gefühl.

„Eine Welt die vollständig gewusst, geplant und beherrscht wäre, wäre eine tote Welt. Das ist keine metaphysische Einsicht, sondern eine Alltagserfahrung“.

Das ist in zweifacher Hinsicht unsinnig. Eine vollständig gewusste, geplante und beherrschte Welt kann es nicht geben – weder tot noch lebendig. Niemand, der bei Verstand ist, würde das Gegenteil behaupten oder anstreben wollen. Alltagserfahrung kann nur sein, dass das Wissen über die Welt ebenso wie das Planen und Beherrschen weltlicher Ereignisse oder Entwicklungen stets begrenzt ist, auch wenn die Grenzen des Machbaren immer wieder auch erweitert werden können. Ob eine unmöglich zu erreichende menschliche Fähigkeit den Tod oder die Lebendigkeit der Welt bedeutet, lässt sich durch Alltagserfahrungen allerdings definitiv nicht bestätigen.

Was bringt uns das Wissen um die nie gänzlich aufzuhebende Begrenztheit des Wissens um die Dinge, die jetzt und in naher Zukunft zu tun oder zu unterlassen wären, um das im Pariser Übereinkommen festgelegte Ziel tatsächlich erreichen zu können, die globale Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad, möglichst 1,5 Grad seit der Industrialisierung zu begrenzen? Nichts. Es ist bedeutungslos. Welche Bedeutung haben „Lebendigkeit, Berührung und wirkliche Erfahrung“, die der gegenwärtigen Unverfügbarkeit eines Überblicks über die diesbezüglich verfügbaren oder gegebenenfalls verfügbar zu machenden Alternativen erwachsen? Keine guten. In dem Kontext sinnvolle „Lebendigkeit, Berührung und wirkliche Erfahrung“ wären doch wohl eher solche, die aus einem globalen Dialog über diesbezüglich zu treffende (zu finanzierende und effektiv zu nutzende) Forschungsschwerpunkte hervorgehen. Dass das, was Regierungen, Verbände Unternehmen, Medien usw. zur Bewältigung der Klimakrise überlegen, beschließen, tun und unterlassen, niemals ganz und ganz planbar oder planbar gemacht werden kann und niemals gänzlich nach Plan verlaufen dürfte ist ebenso ein Nonsens-Wissen wie die Gewissheit sinnlos, dass sich die Welt nicht vollständig beherrschen lässt.

Dass sich Erfolg im Fußball trotz aller Verwissenschaftlichung des Trainings und trotz Millionensummen für einzelne Spielertalente nicht vollkommen planen lassen, ist schön. Und gut. Aber die Klimakrise ist kein Spiel. Und die von der Konkurrenz angestachelten Höchstleistungen sind hier gerade das Problem. Vollkommen klar sollte aber doch wohl sein, dass wir Pläne zu entwickeln haben, wie wir die Planlosigkeit und Unbeherrschbarkeit des derzeitigen Weltwirtschaftens überwinden, mit der sich die Welt der Menschen derzeit in den vollkommenen Warensinn treibt.

Fortsetzung folgt in Bälde