Stromnetzsozialismus?

29. November 2008

Attac, der Bund der Energieverbraucher und Robin Wood haben fast 10.000 Unterschriften für Stromnetze in öffentlicher Hand an die Bundesregierung gegeben. Die Taz fragt daraufhin den RoWo Energiereferent Dirk Seifert, ob Robin Wood die erste sozialistische Umweltorganisation sei.

Seifert antwortet:

Nein. Das hat nichts mit Sozialismus zu tun. Stromnetze sind ein natürliches Monopol und sie sind enorm bedeutsam für die Klimaziele, die wir erreichen wollen.

Würde ein Robin Wood Mann anderes sagen, hätte er die Behauptungsbedingungen seiner Organisation grob missachtet und seinem Brötchengeber geschadet. Als definitiv „ökosozialistische Pressuregroup“ wären Umweltgruppen weitgehend unwirksam, könnten ihre soziale Funktion nicht wahrnehmen, nämlich für eine ökologisch reflektierte (Mit-) Bestimmung dessen, was als ein gesellschaftlich zu lösendes Problem gilt und für für die Problembewältigung selbst möglichst viel soziale Kompetenz zu bilden und einzusetzen. Aus Sicht eines Ökomarx-Schatzsuche-Forums, (das von solchen Rück- bzw. Vorsichten frei assoziieren kann), ist das aber auch Grund genug, ganz entspannt nachzuhaken.

Tatsächlich sind öffentliche Straßen, Schienen oder auch Stromnetze völlig normale Elemente kapitalistischer Arbeitsteilung. Wo private Monopolbildung ein gemeinsames Geschäftsinteresse an einer kostengünstigen aber leistungsfähigen Infrastruktur gefährdet, muss das – schon aus Gründen nationalstaatlicher Konkurrenz – staatlich geregelt werden. Die Beseitigung kleinstaatlicher Zoll-Erhebnung durch Schaffung eines einheitlichen, nationalen  Rechtsraumes mit gleichen Geschäftsbedingungen war eines der treibenden Momente bei der Herausbildung kapitalistischer Produktionsbeziehungen. Öffentliche Netze im Kapitalinteresse sind zwar kein „ehernes Gesetz“ und stehen hier und da in Frage (wie etwa Diskussionen über privat finanzierte Autobahnnetze zeigen) . Doch an sich sind öffentliche Strom- , Straßen- oder Schienennetze an sich nichts Sozialistisches in dem Sinne, dass dies der Verallgemeinerung des Vermögens zur Zweckbestimmung der Produktion (und Einsatz der dafür geeigneten Mittel) dient.

Aber:

Betrachten wir (Öko-) Sozialismus – mit Marx – als Verallgemeinerung der Möglichkeit, in sozialen Abstimmungsprozessen die Methoden und Zwecke der Produktion (einschließlich deren ökologische Voraussetzungen und Folgen) mit zu bestimmen, so steckt in der staatlichen Gewalt über die Netze – natürlich – sehr viel Sozialismuspotenzial.

Zwar deckt sich an diesem Punkt – derzeit – das mit liberaler Philosophie gerechtfertigte Geschäftsinteresse kleinerer (oder potenzieller neuer) Stromanbieter an der Herstellung gerechter Wettbewerbsbedingungen durch eine Entprivatisierung der Netzgewalt teilweise mit dem sozialen Bedürfnis nach einer ökologisch reflektierten Steuerung der Nutzenergienachfrage und -gewinnung. In einer (öko-) sozialistischen Sicht zählen allerdings keine kleinlichen – und unzeitgemäßen – Grundsatzstreitereien über den Nutzen und Gefahren privaten Unternehmenrtums an und für sich, sondern einzig reale Fortschritte bei der Verallgemeinerung ökologisch reflektierender Mitbestimmungsmacht. Wenn Stomnetz besitzende Stromanbieter nicht mehr in bestimmte Überlandleitungen investieren um sich die Windenergie-Konkurrenz vom Leib zu halten, und dies die Verwirklichung notwendiger Maßnahmen zur Begrenzung des Klimawandels verhindert, so steht mit dem – in dem Punkt – als „asozial“ identifizierten Geschäftsinteressen auch dessen soziale Bestimmungsmacht in Frage.

Und die Frage lautet: Darf sozialen Einheiten, die sich in erster Linie gegenüber ihren Aktionären zu rechtfertigen haben (sich also womöglich gegen ökologisch sehr viel fortschrittlichere Konkurrenten behaupten müssen), in einer so bedeutenden Frage wie der einer möglichst klimafreundlichen Herstellung von Nutzenergie entscheidende gesellschaftliche Bestimmmungsmacht zugestanden werden. Oder müssen nicht vielmehr Institutionen über die Entwicklung und Anwendung geeigneter Mittel zur Herstellung von Wärme, Kraft oder Beleuchtung entscheiden können, deren Rechtfertigungsbeziehungen eine Rationalität zulassen (oder erfordern), die sich aus sozialen und ökologischen Vorgaben ergibt?

Mathias Reymond, der an der Universität Evry Volswirtschaft lehrt  zeigt in der Le Monde Diplomatique vom 12.12.2008, dass allein die Zerschlagung von privaten Energiemonopolen weder für eine soziale Tarifgestaltung, noch für die Herstellung von Versorgungssicherheit und schon gar nicht der notwendigen Ökologisierung der Produktion Vorteile bringt, weil so lediglich Onigopole mit unermesslicher sozialer Macht entstehen.

Anstatt die staatlichen Energieriesen dazu zu bewegen, in Produktionsanlagen zu investieren und mit ausländischen Anbietern ins Gespräch zu kommen, hat sie [die EU] sich darauf versteift, die gewachsenen Monopole zu zerschlagen. Dabei hat dieser Dogmatismus nicht zu mehr Effektivität geführt, sondern zu einem Oligopol von privatwirtschaftlichen Unternehmen, denen die Bedienung ihrer Aktionäre wichtiger ist als der Dienst an ihren Kunden.

Eine andere Politik, die genauso europäisch, aber weniger auf die in Brüssel gepflegten Ideologien fixiert wäre, hätte sich auf den Aufbau eines einzigen Energieunternehmen im öffentlichen Dienste Europas konzentrieren sollen. Denn selbst Experten, die sonst für interventionistische Ideen nichts übrig haben, sind sich in einem Punkt einig: Die Netze stellen natürliche Monopole dar und sollten von ein und derselben Einrichtung betrieben werden.

Ein solches europäisches Monopol hätte, aufbauend auf den vorhandenen Kapazitäten ziviler Atomenergie, auf der Entwicklung erneuerbarer Energien und auf Erdgasimporte aus unterschiedlichen Ländern, den Transport, die Verteilung und zum Teil auch die Erzeugung der Energie übernehmen können. Es wäre die Chance gewesen, nicht nur die Betriebskosten zu reduzieren (eine einzige Rechnung, eine einzige Verwaltungsinstanz für alle Energieformen, keine Transaktionskosten, kein Zuständigkeitswirrwarr), sondern auch die Emission von klimaschädlichen Gasen. Doch für ein solches Projekt hätte es ein anderes Europa gebraucht.

Abgesehen von der nicht bsonders guten Idee einer auf die Nutzung von Atomenergie aufbauenden Versorgung scheint mir das doch ein richtiges Streben im Falschen.

hh

Nachtrag: nach einer Befragung des Allensbacher Instituts für Demoskopie aus dem Jahre 2008  erklärten sich 59 % der Befragten mit dem folgenden Satz einverstanden:

„Im Interesse der Beschäftigten, der Verbraucher und der Umwelt müssen Energiekonzerne in die öffentliche Hand überführt und demokratisch kontrolliert werden.“

Quelle: FAZ vom 15.11.09 S. 14

 

Links zum Strom-Oligopol

ARD Filmbericht über das Stromkartell

Deutschland im Griff der Energiekonzerne. 20 Milliarden Euro in drei Jahren – das ist der Gewinn von RWE. Der Energie-konzern mit Sitz in Essen konnte seinen Börsenkurs von 2003 bis heute verdreifachen. Ähnlich gute Ergebnisse erzielen auch die drei anderen deutschen Energieriesen E.ON, Vattenfall, und EnBW. Alleine E.ON verbuchte 2006 einen Gewinn von 7,3 Milliarden Euro

Plusminis 03.02.09: Warum die Strompreise so in die Höhe schnellen

Marx zum Thema Verstaatlichung