Der nächste Genozid

3. Dezember 2019

2015, noch über ein Jahr vor der Präsidentschaft Donald Trumps, war von Timothy Snyder ein Kommentar in der New York Times erschienen, in dem Snyder vor der Gefahr warnt, dass in Zukunft eine „ökologische Panik“ ein neues staatlich organisiertes Massenmorden auslösen könnte. Ich finde den Beitrag außerordentlich lesenswert und habe mir erlaubt, den Text nach bestem Wissen und Gewissen ins Deutsche zu übertragen.

HHH

Timoth Snyder is a professor of history at Yale University and the author of “Black Earth: The Holocaust Follow The New York Times Opinion section on Facebook and Twitter, and sign up for the Opinion Today newsletter.

Der nächste Genozid

Von Timothy Snyder (ins Deutsche überTRAGEN von hhh)

12.09.2015, New Haven

Bevor er den Schuss abfeuerte, hob der Einsatzgruppenleiter das jüdische Kind in die Luft und sagte: „Du musst sterben, damit wir leben können.” Als das Töten weiterging, rationalisierten andere Deutsche die Ermordung jüdischer Kinder in derselben Weise: die oder wir.

Wir stellen uns die Nazi-Endlösung heute als eine Art dunkler Höhepunkt des technologischen Zeitalters vor. Tatsächlich geschah das Töten in einem engen Zusammenhang mit einem Krieg um Ressourcen. Der Krieg, der entscheidend war für das Ausmaß des deutschen Zugriffs auf Juden, wurde geführt, weil Hitler glaubte, dass Deutschland mehr Land und Nahrung braucht um zu überleben und um seinen Lebensstandard zu erhalten — und dass Juden und deren Ideen eine Bedrohung für Deutschlands Expansionspläne darstellen.

Der Holocaust mag uns als ein ferner Schrecken der Vergangenheit erscheinen, dessen Lektion wir längst gelernt haben. Aber die traurige Wahrheit ist, dass es auch in unserer Ära Ängste gibt, die das Bedürfnis nach Sündenböcken und Feindbildern schüren. So könnten gegenwärtige Umweltbelastungen Hitlers Ideen um neue Varianten ergänzen, insbesondere in Ländern mit verbreiteten Ängsten über die Möglichkeit, auch in Zukunft die Ernährung ihrer wachsenden Bevölkerung oder weiterhin ständige Verbesserungen des Lebensstandards sicher zu stellen.

Das Streben nach deutscher Vorherrschaft verlangte nach einer Verleugnung von Wissenschaft. Hitlers Alternative zur Wissenschaft war die Idee vom Lebensraum. Deutschland brauche ein Europäisches Reich, weil nicht eine Verbesserung der Landbearbeitungstechnik sondern nur die Eroberung von neuem Lebensraum im Osten die Hoffnung böte, das Deutsche Volk zu ernähren. In seinem „zweitem Buch“, das er 1928 verfasst hatte, aber das erst nach seinem Tod veröffentlicht wurde, beharrte Hitler darauf, dass der Hunger schließlich alle Verbesserungen des Anbaus überflügeln würde und „die wissenschaftlichen Methoden des Landmanagements“ bereits gescheitert seien. Er behauptete, dass keine der damit erreichbaren Verbesserungen es möglich machen könne, dass sich die Deutschen von ihrem eigenen Territorium ernähren. Insbesondere leugnete Hitler – fälschlicherweise –, dass Bewässerung, Hybridsorten und Kunstdünger die Beziehungen zwischen Mensch und dem nutzbaren Boden verändern könnten.

Durch Wissenschaft Frieden und menschlichem Reichtum zu erlangen, behauptete Hitler in „Mein Kampf“, sei ein Ablenkungsmanöver der Juden, um die Deutschen davon abzuhalten, die Notwendigkeit des Krieges zu erkennen. „Es ist immer der Jude“, argumentierte Hitler, der danach trachte und auch Erfolg damit habe, ein solch tödliches Denken zu säen.

So exotisch es klingen mag, aber das Konzept des Lebensraums ist weniger von unserer eigenen Art des Denkens entfernt, als wir es vielleicht wahrhaben wollen. Während des 1. Weltkrieges erlitt das von Importen landwirtschaftlicher Güter abhängige Deutschland eine Blockade und sah sich mit wirklichen Problemen hinsichtlich der Ernährungssicherheit konfrontiert. Hitler transformierte die daraus entstandenen Ängste in seine Vision der Eroberung totaler Ernährungssicherheit. „Lebensraum“ verbindet den Vernichtungskrieg mit der Frage nach Wegen zur Verbesserung des Lebensstils. Der oberste Nazi-Propagandist Joseph Goebbels konnte daher das Ziel des Vernichtungskrieges als „ein großes Frühstück, ein großes Mittagsmal und ein großes Abendessen“ definieren. Damit verschmelzt er Lebensstil und Leben. Um deutschen Lebensraum zu expandieren, beabsichtigte Hitler, die Ukraine der Sowjetunion zu entreißen, 30 Millionen Osteuropäer hungern zu lassen und die Nahrung nach Deutschland zu transportieren. Als Deutschland 1941 die Sowjetunion eroberte, hatte die Operation zwei Ziele: die Kontrolle über die fruchtbaren Böden der Ukraine und die Zerstörung des jüdischen Lebens in dem Gebiet. Es war diese Invasion, die wehrlose jüdische Kinder der Gnade der mordenden Einsatzgruppen preisgab.

Der Klimawandel droht eine neue ökologische Panik zu provozieren. Bis jetzt haben die ärmeren Menschen in Afrika und im Mittleren Osten die Hauptlast dieser Entwicklung zu erleiden. Der Massenmord an mindestens 500.000 Ruandern im Jahr 1994 folgte einem mehrjährigen Rückgang der agrarischen Produktion. Hutus ermordeten Tutsis nicht nur aus ethnischem Hass, sondern auch, um ihnen ihr Land zu nehmen, wie viele der am Genozid Beteiligten später zugaben.

Im Sudan hatte 2003 eine Dürre Araber dazu getrieben, in das Land der afrikanischen Viehhalter einzudringen. Die Regierung des Sudans schlug sich auf die Seite der Araber und verfolgte eine Politik der Vertreibung der Völker der Zaghawa, Masalit and Fur aus Darfur und dessen Umgebung.

Auch hat der Klimawandel Unsicherheiten im Hinblick auf die Ernährungssicherheit zurück in das Zentrum der Politik von Großmächten gebracht. Das heutige China ist wie Deutschland vor dem Krieg eine Industriemacht, die außerstande ist, die Ernährung seiner Bevölkerung mit Feldfrüchten aus dem eigenen Territorium sicher zu stellen und ist deshalb von den unberechenbaren Launen internationaler Märkten abhängig.

Das könnte die Bevölkerung Chinas anfällig machen für ein Revival der Idee vom Lebensraum. Die Regierung Chinas muss eine Balance finden zwischen seiner noch recht nahen Geschichte des Hungers seiner Bevölkerung und seinem gegenwärtigen Versprechen ewig wachsender Prosperität – während sie mit zunehmend ungünstigen Umweltbedingungen konfrontiert ist. Die Gefahr ist nicht, dass die Chinesen in naher Zukunft tatsächlich verhungern könnten, so wie das in den 1930er Jahren auch den Deutschen nicht gedroht hätte. Das Risiko besteht darin, dass ein entwickeltes Industrieland mit einer gewissen militärischen Stärke, wie einst Hitler-Deutschland in eine ökologische Panik geraten und drastische Schritte zur Verteidigung seines gewohnten Lebensstandards ergreifen könnte.

Wie könnte sich ein solches Szenario entfalten? China hat bereits ein Zehntel der landwirtschaftlichen Nutzfläche der Ukraine gepachtet und kauft Nahrungsmittel auf, wann immer Lieferengpässe erwartet werden können. Chinesische Panikkäufe während der Dürre von 2010 trieben im Mittleren Osten die Brotaufstände an. Chinas Führung betrachtet Afrika bereits als eine Langzeitressource für Nahrung. Obwohl noch immer viele Afrikaner selbst hungern, ist es fruchtbar. Der afrikanische Kontinent birgt zirka die Hälfte der weltweiten Reserven an nutzbarer aber nicht genutzter Agrarfläche. Wie China sind auch die Vereinten Arabischen Emirate und Südkorea an fruchtbaren Regionen im Sudan interessiert – und auch Japan, Katar und Saudi-Arabien haben sich der Riege der Interessenten an Kauf oder Pacht von Land quer durch Afrika angeschlossen.

Nationen, die Land brauchen, würden wahrscheinlich mit taktvollen Verhandlungen über das zu pachtende oder zu kaufende Land beginnen; aber unter der Bedingung von akutem Versorgungsstress könnten solche Agrarexportzonen zu Kolonien werden, die gewaltsam verteidigt würden.

Hitler verbreitete ökologische Panik indem er behauptete, dass nur zusätzliches Land Deutschland Sicherheit bringen würde und indem er der Wissenschaft entgegentrat, die Alternativen zum Krieg versprach. Durch Verschmutzung der Erdatmosphäre mit Treibhausgasen haben die USA mehr als jede andere Nation für die Entstehung einer uns womöglich bevorstehenden ökologischen Panik beigetragen, und sie ist jetzt das einzige Land, in dem die Klimawissenschaft immer noch erheblichem Widerstand seitens bestimmter politischer und wirtschaftlicher Führungskräfte ausgesetzt ist. Diese Leugner neigen dazu, die empirischen Befunde der Wissenschaft als eine Verschwörung darzustellen und die Gültigkeit von Wissenschaft generell in Frage zu stellen – eine intellektuelle Haltung die der Haltung Hitlers unangenehm nahe kommt.

Die vollen Konsequenzen des Klimawandels mögen Amerika erst Jahrzehnte, nachdem die Erwärmung bereits in anderen Regionen Verwüstungen angerichtet hat, erreichen. Und dann könnte es zu spät sein, um mit Wissenschaft und Technologie das Ruder noch herum zu reißen. Bis dahin wird in den Vereinigten Staaten der Weg zur Demagogie ökologischer Panik geebnet sein, während die Amerikaner noch Jahre damit zubringen können, rund um die Welt ökologische Desaster zu verbreiten.

Im schroffen Gegensatz dazu nimmt die Europäische Union die globale Erwärmung sehr ernst, aber ihre Existenz ist bedroht. In Afrika und dem Mittleren Osten schreitet die Erwärmung unterdessen voran und wüten Kriege. Menschen verlassen die Region als Kriegsflüchtlinge oder aus wirtschaftlichen Gründen und nehmen als Flüchtlinge lebensgefährliche Reisen auf sich, um nach Europa zu gelangen. Als Reaktion darauf verlangen europäische Populisten eine strikte Verteidigung der nationalen Grenzen und ein Ende der Union. Viele dieser populistischen Parteien unterstützen Russland, das offen eine Spaltungs- und Eroberungspolitik mit dem Ziel der Desintegration Europas verfolgt.

Die russische Intervention in der Ukraine im Jahr 2014 hat bereits die Friedensordnung erschüttert, die die Europäer längst garantiert glaubten. Der Kreml, der wirtschaftlich von Erdgaslieferungen nach Europa abhängig ist, ist nun auf der Suche nach Möglichkeiten, Gasgeschäfte nach und nach mit einzelnen europäischen Staaten abzuschließen, um auf diese Weise die europäische Einheit aufzuweichen und seinen eigenen Einfluss auszuweiten. Inzwischen wachst Präsident Putin die Kufen für eine nostalgische Schlittenfahrt in die 1930er Jahre während russische Nationalisten Homosexuelle, Kosmopoliten und Juden beschuldigen, eine Anti-Kriegsstimmung zu verbreiten. Beides verheißt nichts Gutes für die Zukunft der Europäische Union – oder Russlands.

Eine Ära des Massenmords würde sich nicht mit einer Sprache ankündigen, die uns vertraut ist. Das Nazi-Szenario von 1941 wird nicht in der exakt gleichen Form auferstehen, aber einige ihrer wesentlichen Elemente haben sich bereits herausgeschält. Es ist nicht schwer, sich den ethnischen Massenmord in Afrika vorzustellen, wo er bereits stattfand, oder den Triumph eines gewalttätigen Totalitarismus in den austrocknenden Regionen des Mittleren Ostens durch eine Abart des Islamismus, oder Chinas Kampf um Ressourcen in Afrika oder in Russland oder Osteuropa, der die Vertreibung der dort bereits lebenden Bevölkerung einschließt, oder eine weltweite ökologische Panik, nachdem Amerika sich von der Klimawissenschaft lossagt und die Europäische Union auseinanderbricht.

Heute stehen wir der gleichen grundlegenden Wahl zwischen Wissenschaft und Ideologie gegenüber, der einst Deutschland gegenüberstand. Werden wir die empirischen Beweise akzeptieren und neue Technologien der Energiegewinnung unterstützen, oder lassen wir es zu, dass Wellen ökologischer Panik durch die Welt schwappen?

Wissenschaft abzulehnen ruft die Geister der Vergangenheit herauf, die unsere Zukunft gefährden.

Timothy Snyder ist Professor für Geschichte an der Yale University und Autor von Schwarze Erde: Der Holocaust.

Von Timothy Snyder (ins Deutsche übersetzt von hhh)

12.09.2015, New Haven


Was kann das „trumputinistische“ Projekt einer Entzivilisierung des Kapitalismus stoppen?

11. November 2016

Ein aggressiv nationalchauvinistischer, und familienpolitisch reaktionärer Populismus geht um. Über die „sozialen Medien“ drängt Verachtung alles Mitmenschlichen in den öffentlichen Raum und nährt die Vorstellung, Demokratie sei das Recht einer entfesselten Meute, Repräsentanten und Verteidiger der Demokratie öffentlich den Tod an den Hals zu wünschen. Der sich mit unschuldigem Augenaufschlag als volksnaher Sorgenentsorger ausgebende Rechtspopulismus bietet Anknüpfungspunkte zum Hitlerismus, was aber nicht heißt, dass seine sich gegenwärtige herausbildende Gestalt eines trumputinistisch-republikanischen Mischwesens nicht bedrückend genug ist. Wir erleben derzeit, wie sich eine von Putins feudal-kapitalistischer Lügenrepublik gepuschte Internationale des Anti-Liberalismus anschickt, einmal wieder mit dem Projekt Weltgeschichte zu schreiben, den Kapitalismus von seinem zivilisatorischen Schnickschnack zu befreien.

Spätestens nach der Wahl Donald Trumps zum US Präsidenten muss man der Gefahr ins Auge sehen, dass die weltweite Entzivilisierung des Kapitalismus forciert wird und sehr schnell zu einem Grad voran schreiten könnte, ab dem alles Mitmenschliche, Vernünftige, Demokratische, Rücksichts-, Sorgen-, Liebe- und Lustvolle, kreativ Fantastische, alle wissenschaftliche Neugierde und Experimentierfreudigkeit, das stille Vergnügen an der Erkenntnisgewinnung und über Sachlichkeit garantierenden Regeln in einen sich selbst verstärkenden Sog der Entzivilisierung gerät. Gleich dem wilden Tanz eines stramm aufgeblasenen und urplötzlich sich selbst überlassenen Luftballons könnten dann die zunehmend entfesselten Triebkräfte der privateigentümlichen Vergesellschaftung ein letztes Mal furios über sich hinaus schießen – um am Ende als nutzlose Hülle um ein Nichts ins Bodenlose zu fallen. Die Aussicht auf ein solches Ende der menschlichen Kulturgeschichte ist alles andere als ein Grund zur Vorfreude. Sozialismus, verstanden als Übergang zu einem (welt-) gesellschaftlichen Für- und Voneinander, das auf Basis „öko-kommunistischer“ (Re-) Produktionsbeziehungen funktioniert, braucht die Luft zum Atmen, die gegenwärtig in der Tat nur ein halbwegs zivilisierter Kapitalismus mit leidlich demokratischer Verfasstheit und Menschenrechten garantieren kann. Und der (sozialistische) Übergang ins Zeitalter ökologisch reflektierter Mitmenschlichkeit braucht einen besonders langen Atem.

Was heißt das für mein öffentliches Nachdenken über Notwendigkeit, Möglichkeit, Gestalt und Vernunft einer an Marx/Engels (öko-) kommunistischen Humanismus (bzw. ökohumanistischen Kommunismus) anknüpfenden Transformationsperspektive?

Den Rest des Beitrags lesen »


Auf zum gemeinen Uneigentum?

26. April 2014

Beitrag zum Keimform-Schwerpunkte der Streifzüge. Anmerkungen aus ökokommunistischer Sicht (Geringfügig  überarbeitet) .

Am Keimform-Blog (keimform.de) schätze ich neben Berichten und Reflexionen über Open Source oder Peer-to-Peer Projekten Zeichen ernsthaften Nachdenkens über Kommunismus.

Ganz unutopistisch sind reale Bewegungen ins Visier genommen, die als Keimformen eines kommunistischen Füreinanders identifiziert werden. Allerdings eines mit „C“ geschriebenen Kommunismus, der vom Begriff der „Commons“ abgeleitet ist bzw. vom „Commoning“. Denn Commons oder Allmendegüter, so wird hier zurecht betont, sind keine Dinge, deren Natureigenschaft es ist, für alle da zu sein. Commons werden erst durch das Commoning Realität. Und die existiert insoweit die Verarbeitung, Verwendung, Pflege, Wiederherstellung usw. von Ressourcen eine tatsächlich gemeinsam zu verantwortende Angelegenheit aller ist

Das unterscheidet sich insoweit nicht von meinem Verständnis eines (öko-) kommunistischen Füreinanders (oekohumanismus.wordpress.com/about). Nur suche ich dahin gehende Entwicklungspotenziale nicht allein in Sphären eines bereits verwirklichten „Commoning“, wo die Formen des menschlichen Füreinander-Produzierens bereits nahezu kommunistische (commonistische) sind.

Den Rest des Beitrags lesen »


Weltgemeinschaft ist nicht? Was nicht ist, kann werden!

14. Oktober 2013

Innerhalb überschaubarer Zeiträume bewegt sich die Kunst des Möglichmachens naturgemäß innerhalb des historisch Möglichen. Politik kann sich über die Grenzen gegebener Kreislaufstrukturen der Existenzsicherung und Bereicherung nicht einfach hinwegsetzen. Philosophie, verstanden als ein Orientierung verleihendes Ergründen und Bedenken vernünftiger Perspektiven gesellschaftlichen Handelns muss die akuten Zwänge zwar berücksichtigen, kann über sie aber auch ein Stückweit hinaus denken. Sie KANN mehr sein (oder zumindest werden) als geistiges Schmiermittel zur besseren Ausgestaltung dessen, was das von der Naturgewalt Kapitalismus bestimmte Füreinander an Freiheiten erlaubt oder praktisch vorschreibt. Nicht als eine abgehobene Leidenschaft philosophischer Köpfe sondern als Kopf politischer Leidenschaft – zur Begründung gesellschaftlicher Perspektiven politischen Handelns.

Von dem Taz-Autor Bernhard Pötter hätte ich erwartet, dass er sich von dieser grundlegenden Erkenntnis leiten lassen würde. Sein Kommentar zum neuen Weltklimabericht war für mich deshalb recht irritierend. Der gewöhnlich sehr weitsichtige Pötter begnügt sich hier mit dem „real-philosophischen“ Hinweis, dass es eine Weltgemeinschaft nicht wirklich gibt und es deshalb nichts bringt, deren klimapolitische Rationalität zu beschwören.

Den Rest des Beitrags lesen »


Einmal wieder ein Lichtblick: Kate Raworth‘ Doughnut Economics

16. September 2013

Im Rahmen ihrer Reihe Green Lectures hatte die Heinrich Böll Stiftung die britische Forscherin Kate Raworth zu Gast in Berlin. Ich hatte das Vergnügen, ihrem Vortrag zu lauschen. Das von Raworth vertetene Konzept der Doughnut Economics  ist wohl neben den Ökomarxistischen Reflexionen in der Monthly Revue, den schon vor einiger Zeit entdeckten Texten des Prager Frühlings sowie Elenor Ostroms Forschung zu den Commons, eines der Meilensteine sozialer Emanzipationswissenschaft über die zu stolpern ich gern weiterempfehlen möchte.

Für eine umfassende Wertung sind meine Eindrücke noch zu frisch und unvertieft. Ich sehe auch  erst einmal weniger ein ganz neues Konzept als eine geniale Visualisierung nachhaltiger Entwicklung bzw. deren systematische Weiterentwicklung in Richtung eines Miteinanders, das auf Grundlage eines – am Ende weltgemeinschaftlichen – Nachhaltigkeitsmanagements funktioniert.

Den Rest des Beitrags lesen »


„Statt radikaler Pose bedarf es organisierter Lernprozesse“ Genau! Bravo ak!

11. Juli 2013

Ja, manchmal ist Facebook doch hilfreich. So bekomme ich wenigstens mit, was heutzutage in meiner einstigen Leib- und Magenzeitung ak so diskutiert wird.  In der aktuellen Ausgabe hat sich der schätzenswerte Ingo Stützle kritisch mit einigen Ansichten linksradikaler Kapitalismusgegner/innen auseinandergesetzt:

„Statt radikaler Pose bedarf es organisierter Lernprozesse“.

Der Titel scheint mir das Problem des bekennenden Anti-Kapitalismus auf den Punkt zu bringen. Der Hintergrund: Als Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft firmierende Diskutanten hatten sich in ak 580 dazu bekannt, »die Spaltung der Linken in EtatistInnen und Antiautoritäre … befördern« zu wollen. Anti-Etatismus ist in der Tat eine immer wiederkehrende Lächerlichkeit anarchistischer Glaubenssysteme!  Gesellschaftliche Widersprüche werden dabei komplett auf den Staat projiziert.

In den nächsten Jahrzehnten wird sich die vorerst noch weitgehend unterirdisch ausbreitende Systemkrise aller Wahrscheinlichkeit nach dramatisch zuspitzen. Es ist deshalb von größter Bedeutung, dass sich rechtzeitig eine hinreichend breite und gescheite Basis für die unabdingbaren Veränderungen grundsätzlicher Natur herausbildet. Was aber erst einmal auch nur weitgehend unbewusst geschehen kann, d.h. in der Hauptsache eben nicht als (von vornherein)  bekennender Anti-Kapitalismus, für dessen Protagonst(inn)en alles andere als ihr „Weg-mit-dem-Kapitalismus“ gilt und nur als „Integration-ins-System“ und allein verantwortlich für die anhaltende Unlust auf revolutionäre Abenteuer.

Das demonstrative Revoluzzen mag zwar hin und wieder auch kleinere Erfolge bringen. Aber der Herausbildung einer die nötigen Veränderungen wirklich einleitenden und tragenden (welt-) gesellschaftlichen Basis arbeitet solch Antireformismus am Ende doch definitiv entgegen. Den Rest des Beitrags lesen »


Gedanken zu Ralf Fücks „Intelligent Wachsen – Die grüne Revolution“

18. Juni 2013

FORM FOLLOWS FUNCTION  sollte auch bei den anstehenden Formveränderungen gesellschaftlicher Natur als Konstruktionsprinzip erster Wahl gelten. Die Frage danach, was warum nicht mehr oder noch nicht funktioniert, gerät ins Zentrum, wenn sich die Entwicklung der Produktivkräfte auf einen Punkt zubewegt, der unweigerlich die Frage nach grundlegenden Formveränderungen der Produktionsverhältnisse auf die Tagesordnung setzt.

Nichts ist öder als im Vorfeld einer solchen Situation altkluge Belehrungen über die Binsenweisheit ertragen zu müssen, dass alle technologische Errungenschaften nichts nützen, solange die Gesellschaft nicht in der Lage ist, sie in einer sozial bzw. ökologisch vernüftigen Weise einzusetzen. Und dass man deshalb erst einmal eine „Postwachstumsgesellschaft“ etablieren müsse, bevor man sich mit dazu passenden Technologien beschäftigt.

Natürlich darf auch nicht erst dann nach einer besseren Art gefragt werden, Entwicklung und Einsatzes der menschlichen Produktivkräfte zu organisieren, wenn diese Frage gesamtgesellschaftlich (das heißt auch global) am Kochen ist, und der letzte Feldhase entsetzt feststelt,  dass innerhalb der alten Organisationsweise dem ungebremsten Einsatz menschlicher Destruktivkraft nichts von Belang entgegengesetzt weden kann.

Die gesellschaftliche Reife in der Hinsicht lässt sich m.E. daran ablesen, wie händeringend nach dem Aufbau der nötigen Problemlösungskompetenz gesucht wird. Und das ist nicht zuletzt an dem Grad zu erkennen, in dem die Suche nach ökologisch intelligenter Technologie UND geeigneten Formen ihrer (Weiter-) Entwicklung und ihres Einsatzes Hand in Hand gehen. Den Rest des Beitrags lesen »


Aprilscherzthesen? Sozialismus geldverkehrsfrei?

20. März 2013

Dass die sich als „magazinierte Transformationslust“ beschreibende Onlinepräsens der „Streifzüge“ Ulrich Weiß Kritik an Marx „Kritik des Gothaer Programms“ am 1. April (2010 ) präsentiert hatte, hatte, wie ich inzwischen erfaren habe, keinerlei tiefere Bedeutung. Ich hatte das in Erwägung gezogen, weil wegen einem technischen Problem das Kommentieren  unmöglichich war und der Versuch zu einem Spendenaufruf geführt hatte. Es war also keine subtile Kritik an den Autor.

Weiß entlarvt Marx hier als Vulgärsozialist und Antimarxist, weil dieser es in seinen berühmten Randglossen zum Gothaer Vereinigungssprogramm der deutschen Sozialdemokratie versäumt habe, nicht nur die sofortige Geburt sondern auch das sofortige Ausgwachsensein eines geldverkehrsfrei gezeugten Kommunismus zu verlangen, also einen, der ganz unbefleckt vom sündigen Kapitalismus zur Welt zu bringen wäre.  Dieser aus seinem eigenen heiligen Geist gezeugte  „Kommunismus“ solle das Licht der Welt nach Weiß Meinung von Beginn an „vom Werte befreit“ erblicken, sprich Lohnarbeit, Kaufen und Verkaufen usw. sogleich abgeschafft sein und Geld nur noch als Museumsexponate aus grauer Vorzeit vorkommen dürfen.

Den Rest des Beitrags lesen »


Anmerkung zu einem Aufruf, die Care-Arbeit in die Kapitalismusbegrünung und was darüber hinaus geht einzubeziehen

28. Februar 2013

Ulrike Röhr und Narges-Lankarani, beide Expertinnen in Sachen „Gender & Sustainable Developement“  haben in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Ökologisches Wirtschaften angemahnt, bei Fragen des richtigen Wirtschaftens die Care-Ökonomie stärker in den Blick zu nehmen.  Mit Care-Ökonomie (= Sorge-Ökonomie/Sorge-Arbeit) ist alles gemeint, was direkt am Menschen für  dessen körperliches und seelisches Wohlbefinden bzw. für die (Wieder-)Herstellung seines sozialen Vermögens geleistet wird – unabhängig, ob es sich dabei um Erwerbstätigkeit, selbstständige Dienstleistungen oder um im eigenen Haushalt  bzw.  für nahestehende Personen unentgeltlich geleistete Arbeit handelt.

Die Autorinnen kritisieren, dass Debatten über Green Economy gemeinhin auf das Grünerwerden und auf Ressorcenschonung  „der Wirtschaft“ und „des Marktes“ fokussiert seien und den Bereich der Sorgearbeit ausklammern würden, obwohl der die Grundlage allen Wirtschaftens sei.  Die Green Economy Konzepte müssten sich aber daran messen lassen,  „ob sie einer Trennungsstruktur zwischen produktiv und reproduktiv  und damit verbundene Hirarchisierungen aufheben.“

Den Rest des Beitrags lesen »


Von der Fairness zur gemeinsamen Verantwortung?

25. Januar 2013

Ach, das ist doch mal was Interessantes:

Im Joop-Koopmans-Blog lese ich grad den folgenden Aufruf.

Ich lade alle Blogger, die sich mit den Themen, Ökologie, Nachhaltigkeit, fairer Handel, Ökonomie etc. beschäftigen dazu ein, sich in ihren Blogs darüber Gedanken zu machen, wie man das Geschäftsmodell der “fairen Banken” besser benennen kann und wie man das Geschäftsmodell der “pervertierten Banken” korrekter benennen kann. Denn es kann doch nicht sein, dass eine Bank wie die Deutsche Bank ihre Geschäfte macht ohne, dass sie ein passendes Attribut verliehen bekommt. Und dieses passende Attribut sollte auch in die normale Alltagssprache Einzug halten. Wir haben es in der Hand die Dinge richtig zu benennen und wir haben durch die Kommunikationsmöglichkeiten des Webs auch die Kraft und die Möglichkeit diese richtigen Namen durchzusetzen und sie alltagstauglich zu machen..

Nunja. Solche Begriffe und die daran geknüpfte Konzepte bzw. Perspektiven wie „Fair Trade“ sind natürlich historische Momentaufnahman. Teil gesellschaftlicher Emanzipationsprozesse. Die können schließlich nicht mit dem korrekten Ende beginnen. Der Ausdruck „Fair“ berücksichtigt, dass die (ungleichen) Machtverhältnisse nicht von heute auf morgen beseitigt werden können. In der Regel meist an die Einsichtigkeit des Stärkeren appelliert. Solange die Kräfteverhältnisse nicht zu kippen sind, ist das auch ein adäquates (das historisch adäquate) Mittel sozialer Emanzipation. Aber: es hat auch einen Sanktionierungseffekt, reproduziert ein paternalistisches Verhältnis zu den Benachteiligten.  Außerdem:

Den Rest des Beitrags lesen »