Was heißt hier Sozialismus?

22. Januar 2008

Der Begriff schillert. Im marxistischen Kontext steht „Sozialismus“ allgemein für Übergangsgesellschaft zum klassenlosen Weltkommunismus. Innerhalb der Linkspartei und um sie herum wird Sozialismus meist mit einer Zukunft oder Politik identifiziert, in der „sozialistische Werte“  wie etwa „soziale Gerechtigkeit“ vorherrschen und „die Gier nach Maximalprofiten“ überwunden ist.  Zur Abgrenzung vom so genannten Realen Sozialismus fällt auch der Begriff Staatssozialismus,  was also die Vorstellung einschließt, hier handelte es sich um eine besondere (wenn auch nicht besonders gelungene) Form „des“ Sozialismus.

Aber wie sozialistisch waren die einstigen Ostblockländer wirklich? Gibt es keine rational nachvollziehbaren Kriterien normativer Art nach denen (vergangene oder künftige) Gesellschaften nach Indikatoren abgesucht werden können, an denen die mehr oder auch weniger starke Anwesenheit bzw. Abwesenheit von „Sozialismus“  abgelesen werden kann?

Wer den Gedanken an eine „Diktatur des Weltproletariats“ mehr als fragwürdig findet, weil

  • die Gefährlichkeit der marx-engelschen Koketterie mit dem Begriff der „Diktatur“ inzwischen auf der Hand liegt, (auch wenn sie sich diese „Diktatur“ als eine soziale Herrschaft der Weltbevölkerungsmehrheit und also in der politischen Form einer Weltdemokratie vorgestellt hatten), und weil
  • „Proleratiat“ als strukturelles Element kapitalistischer Verhältnisse („variables Kapital“) ja just als menschenunwürdige Existenzform identifiziert wurde und in dem Moment aufhört „Proletariat“ zu sein, wie es sich aus diesen Verhältnissen emanzipiert,

und wer nun Festlegungen darüber treffen möchte, was die Übergangsgesellschaft  im Wesentlichen als eine charaktirisiert, die soziale Befreiung aus der bornierten  Klassenlage bringt,  könnte sich vielleicht mit folgender Bestimmung anfreunden.

  1. Im „Schoße der alten, kapitalistischen Verhältnisse“ existiert bzw. wächst Sozialismus (unabhängig vom Selbstverständnis seiner Träger) als sozialer Prozess, der im wachsenen Maaße zunehmend mehr Menschen befähigt, die menschlichen bzw. von Menschen beeinflussten Mittel der Existenzsicherung und Bereicherung  (mitsamt des diesen „Produktionsmitteln“ inne wohnenden Destruktivvermögens) nach – in sozialer und ökologischer Hinsicht  – gemeinsam reflektierten, und in so fern rationalen Maßstäben entwickeln und anzuwenden zu können.
  2. Von einer sozialistischen Gesellschaftsformation kann (unabhängig von deren Benennung) gesprochen werden, in so weit die Verallgemeinerung des Vermögens, miteinender Nutzen, Schaden oder Risiken von Produktivität und Produktion antizipieren und adäquate Produktionszwecke, -methoden, -qualitäten, -mengen, -orte oder Einwirkungen auf die natürliche Mitwelt aushandeln zu können, der (weltweit) vorherrschende soziale Prozess ist.

Eine solche Bestimmung sehe ich als Bedingung der Möglichkeit eines rationalen Diskurses.  Denn wie sonst könnte mit  sozialwissenschaftlichen Methoden reale Existenz, Abwesenheit, Notwendigkeit oder Möglichkeit von „Sozialismus“ erfasst werden, und wie sonst wäre es möglich, sich ein Bild von der Sache zu machen, das nicht durch bornierte Macht oder Ohnmacht,  Rechtfertigungsinteressen und entsprechenden Wahrnehmungsmustern konstruiert ist?  Wie sonst also wäre eine sachliche Diskussion des Gegenstandes möglich?

Eine solche Bestimmung schafft den Boden für empirische Forschung,  kann sie aber natürlich nicht ersetzen.  Eine „empirische Widerlegung“ der marx-engelschen Perspektiven aufgrund deren Einmauerung in die Rechtferigungsideologien „vormundschaftlicher Staaten“ staatsparteilicher Sozialismusversuche des letzten Jahrhunderts könnte sich auf einer solchen Grundlage allerdings auch als „zu früh gefreut“ (oder geärgert) heraus stellen.

In dem Zusammenhang ist es interessant, was Marx und Engels in iheren Selbstverständigungsschriften als Voraussetzung einer „Aufhebung von Entfremdung“ sahen.

Siehe dazu auch die Ausführungen von Thieß Petersen über “ Subjektive Voraussetzungen für die Transformation der kapitalistischen Gesellschaft“ im Glasnost Archiv

Zum Schluss: Keine Mitverantwortung für falsche Wege?

hhirschel