Naomi Klein über einen lauernden Ökofaschismus: „Wir sind nicht nur im Wortsinne sondern auch politisch entflammbar“

4. Februar 2020

Nach dem Beitrag von Timothy Snyder über „den nächsten Genozid“ hatte ich unlängst einen weiteren Beitrag zur Frage aus dem Netz gefischt und ins Deutsche übersetzt in dem die Frage behandelt ist:

Müssen wir uns auf eine Zeit vorbereiten, in der der Rechtspopulismus seine „Klimaleugnerei“ als Mittel der Ausbeutung verbreiteter Verdrängungsbedürfnisse oder auch als Mittel der Auffüllung interner Schwatzgeldkassen aufgibt, und einen faschistischen Klimaschutz propagiert?

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Der nächste Genozid

3. Dezember 2019

2015, noch über ein Jahr vor der Präsidentschaft Donald Trumps, war von Timothy Snyder ein Kommentar in der New York Times erschienen, in dem Snyder vor der Gefahr warnt, dass in Zukunft eine „ökologische Panik“ ein neues staatlich organisiertes Massenmorden auslösen könnte. Ich finde den Beitrag außerordentlich lesenswert und habe mir erlaubt, den Text nach bestem Wissen und Gewissen ins Deutsche zu übertragen.

HHH

Timoth Snyder is a professor of history at Yale University and the author of “Black Earth: The Holocaust Follow The New York Times Opinion section on Facebook and Twitter, and sign up for the Opinion Today newsletter.

Der nächste Genozid

Von Timothy Snyder (ins Deutsche überTRAGEN von hhh)

12.09.2015, New Haven

Bevor er den Schuss abfeuerte, hob der Einsatzgruppenleiter das jüdische Kind in die Luft und sagte: „Du musst sterben, damit wir leben können.” Als das Töten weiterging, rationalisierten andere Deutsche die Ermordung jüdischer Kinder in derselben Weise: die oder wir.

Wir stellen uns die Nazi-Endlösung heute als eine Art dunkler Höhepunkt des technologischen Zeitalters vor. Tatsächlich geschah das Töten in einem engen Zusammenhang mit einem Krieg um Ressourcen. Der Krieg, der entscheidend war für das Ausmaß des deutschen Zugriffs auf Juden, wurde geführt, weil Hitler glaubte, dass Deutschland mehr Land und Nahrung braucht um zu überleben und um seinen Lebensstandard zu erhalten — und dass Juden und deren Ideen eine Bedrohung für Deutschlands Expansionspläne darstellen.

Der Holocaust mag uns als ein ferner Schrecken der Vergangenheit erscheinen, dessen Lektion wir längst gelernt haben. Aber die traurige Wahrheit ist, dass es auch in unserer Ära Ängste gibt, die das Bedürfnis nach Sündenböcken und Feindbildern schüren. So könnten gegenwärtige Umweltbelastungen Hitlers Ideen um neue Varianten ergänzen, insbesondere in Ländern mit verbreiteten Ängsten über die Möglichkeit, auch in Zukunft die Ernährung ihrer wachsenden Bevölkerung oder weiterhin ständige Verbesserungen des Lebensstandards sicher zu stellen.

Das Streben nach deutscher Vorherrschaft verlangte nach einer Verleugnung von Wissenschaft. Hitlers Alternative zur Wissenschaft war die Idee vom Lebensraum. Deutschland brauche ein Europäisches Reich, weil nicht eine Verbesserung der Landbearbeitungstechnik sondern nur die Eroberung von neuem Lebensraum im Osten die Hoffnung böte, das Deutsche Volk zu ernähren. In seinem „zweitem Buch“, das er 1928 verfasst hatte, aber das erst nach seinem Tod veröffentlicht wurde, beharrte Hitler darauf, dass der Hunger schließlich alle Verbesserungen des Anbaus überflügeln würde und „die wissenschaftlichen Methoden des Landmanagements“ bereits gescheitert seien. Er behauptete, dass keine der damit erreichbaren Verbesserungen es möglich machen könne, dass sich die Deutschen von ihrem eigenen Territorium ernähren. Insbesondere leugnete Hitler – fälschlicherweise –, dass Bewässerung, Hybridsorten und Kunstdünger die Beziehungen zwischen Mensch und dem nutzbaren Boden verändern könnten.

Durch Wissenschaft Frieden und menschlichem Reichtum zu erlangen, behauptete Hitler in „Mein Kampf“, sei ein Ablenkungsmanöver der Juden, um die Deutschen davon abzuhalten, die Notwendigkeit des Krieges zu erkennen. „Es ist immer der Jude“, argumentierte Hitler, der danach trachte und auch Erfolg damit habe, ein solch tödliches Denken zu säen.

So exotisch es klingen mag, aber das Konzept des Lebensraums ist weniger von unserer eigenen Art des Denkens entfernt, als wir es vielleicht wahrhaben wollen. Während des 1. Weltkrieges erlitt das von Importen landwirtschaftlicher Güter abhängige Deutschland eine Blockade und sah sich mit wirklichen Problemen hinsichtlich der Ernährungssicherheit konfrontiert. Hitler transformierte die daraus entstandenen Ängste in seine Vision der Eroberung totaler Ernährungssicherheit. „Lebensraum“ verbindet den Vernichtungskrieg mit der Frage nach Wegen zur Verbesserung des Lebensstils. Der oberste Nazi-Propagandist Joseph Goebbels konnte daher das Ziel des Vernichtungskrieges als „ein großes Frühstück, ein großes Mittagsmal und ein großes Abendessen“ definieren. Damit verschmelzt er Lebensstil und Leben. Um deutschen Lebensraum zu expandieren, beabsichtigte Hitler, die Ukraine der Sowjetunion zu entreißen, 30 Millionen Osteuropäer hungern zu lassen und die Nahrung nach Deutschland zu transportieren. Als Deutschland 1941 die Sowjetunion eroberte, hatte die Operation zwei Ziele: die Kontrolle über die fruchtbaren Böden der Ukraine und die Zerstörung des jüdischen Lebens in dem Gebiet. Es war diese Invasion, die wehrlose jüdische Kinder der Gnade der mordenden Einsatzgruppen preisgab.

Der Klimawandel droht eine neue ökologische Panik zu provozieren. Bis jetzt haben die ärmeren Menschen in Afrika und im Mittleren Osten die Hauptlast dieser Entwicklung zu erleiden. Der Massenmord an mindestens 500.000 Ruandern im Jahr 1994 folgte einem mehrjährigen Rückgang der agrarischen Produktion. Hutus ermordeten Tutsis nicht nur aus ethnischem Hass, sondern auch, um ihnen ihr Land zu nehmen, wie viele der am Genozid Beteiligten später zugaben.

Im Sudan hatte 2003 eine Dürre Araber dazu getrieben, in das Land der afrikanischen Viehhalter einzudringen. Die Regierung des Sudans schlug sich auf die Seite der Araber und verfolgte eine Politik der Vertreibung der Völker der Zaghawa, Masalit and Fur aus Darfur und dessen Umgebung.

Auch hat der Klimawandel Unsicherheiten im Hinblick auf die Ernährungssicherheit zurück in das Zentrum der Politik von Großmächten gebracht. Das heutige China ist wie Deutschland vor dem Krieg eine Industriemacht, die außerstande ist, die Ernährung seiner Bevölkerung mit Feldfrüchten aus dem eigenen Territorium sicher zu stellen und ist deshalb von den unberechenbaren Launen internationaler Märkten abhängig.

Das könnte die Bevölkerung Chinas anfällig machen für ein Revival der Idee vom Lebensraum. Die Regierung Chinas muss eine Balance finden zwischen seiner noch recht nahen Geschichte des Hungers seiner Bevölkerung und seinem gegenwärtigen Versprechen ewig wachsender Prosperität – während sie mit zunehmend ungünstigen Umweltbedingungen konfrontiert ist. Die Gefahr ist nicht, dass die Chinesen in naher Zukunft tatsächlich verhungern könnten, so wie das in den 1930er Jahren auch den Deutschen nicht gedroht hätte. Das Risiko besteht darin, dass ein entwickeltes Industrieland mit einer gewissen militärischen Stärke, wie einst Hitler-Deutschland in eine ökologische Panik geraten und drastische Schritte zur Verteidigung seines gewohnten Lebensstandards ergreifen könnte.

Wie könnte sich ein solches Szenario entfalten? China hat bereits ein Zehntel der landwirtschaftlichen Nutzfläche der Ukraine gepachtet und kauft Nahrungsmittel auf, wann immer Lieferengpässe erwartet werden können. Chinesische Panikkäufe während der Dürre von 2010 trieben im Mittleren Osten die Brotaufstände an. Chinas Führung betrachtet Afrika bereits als eine Langzeitressource für Nahrung. Obwohl noch immer viele Afrikaner selbst hungern, ist es fruchtbar. Der afrikanische Kontinent birgt zirka die Hälfte der weltweiten Reserven an nutzbarer aber nicht genutzter Agrarfläche. Wie China sind auch die Vereinten Arabischen Emirate und Südkorea an fruchtbaren Regionen im Sudan interessiert – und auch Japan, Katar und Saudi-Arabien haben sich der Riege der Interessenten an Kauf oder Pacht von Land quer durch Afrika angeschlossen.

Nationen, die Land brauchen, würden wahrscheinlich mit taktvollen Verhandlungen über das zu pachtende oder zu kaufende Land beginnen; aber unter der Bedingung von akutem Versorgungsstress könnten solche Agrarexportzonen zu Kolonien werden, die gewaltsam verteidigt würden.

Hitler verbreitete ökologische Panik indem er behauptete, dass nur zusätzliches Land Deutschland Sicherheit bringen würde und indem er der Wissenschaft entgegentrat, die Alternativen zum Krieg versprach. Durch Verschmutzung der Erdatmosphäre mit Treibhausgasen haben die USA mehr als jede andere Nation für die Entstehung einer uns womöglich bevorstehenden ökologischen Panik beigetragen, und sie ist jetzt das einzige Land, in dem die Klimawissenschaft immer noch erheblichem Widerstand seitens bestimmter politischer und wirtschaftlicher Führungskräfte ausgesetzt ist. Diese Leugner neigen dazu, die empirischen Befunde der Wissenschaft als eine Verschwörung darzustellen und die Gültigkeit von Wissenschaft generell in Frage zu stellen – eine intellektuelle Haltung die der Haltung Hitlers unangenehm nahe kommt.

Die vollen Konsequenzen des Klimawandels mögen Amerika erst Jahrzehnte, nachdem die Erwärmung bereits in anderen Regionen Verwüstungen angerichtet hat, erreichen. Und dann könnte es zu spät sein, um mit Wissenschaft und Technologie das Ruder noch herum zu reißen. Bis dahin wird in den Vereinigten Staaten der Weg zur Demagogie ökologischer Panik geebnet sein, während die Amerikaner noch Jahre damit zubringen können, rund um die Welt ökologische Desaster zu verbreiten.

Im schroffen Gegensatz dazu nimmt die Europäische Union die globale Erwärmung sehr ernst, aber ihre Existenz ist bedroht. In Afrika und dem Mittleren Osten schreitet die Erwärmung unterdessen voran und wüten Kriege. Menschen verlassen die Region als Kriegsflüchtlinge oder aus wirtschaftlichen Gründen und nehmen als Flüchtlinge lebensgefährliche Reisen auf sich, um nach Europa zu gelangen. Als Reaktion darauf verlangen europäische Populisten eine strikte Verteidigung der nationalen Grenzen und ein Ende der Union. Viele dieser populistischen Parteien unterstützen Russland, das offen eine Spaltungs- und Eroberungspolitik mit dem Ziel der Desintegration Europas verfolgt.

Die russische Intervention in der Ukraine im Jahr 2014 hat bereits die Friedensordnung erschüttert, die die Europäer längst garantiert glaubten. Der Kreml, der wirtschaftlich von Erdgaslieferungen nach Europa abhängig ist, ist nun auf der Suche nach Möglichkeiten, Gasgeschäfte nach und nach mit einzelnen europäischen Staaten abzuschließen, um auf diese Weise die europäische Einheit aufzuweichen und seinen eigenen Einfluss auszuweiten. Inzwischen wachst Präsident Putin die Kufen für eine nostalgische Schlittenfahrt in die 1930er Jahre während russische Nationalisten Homosexuelle, Kosmopoliten und Juden beschuldigen, eine Anti-Kriegsstimmung zu verbreiten. Beides verheißt nichts Gutes für die Zukunft der Europäische Union – oder Russlands.

Eine Ära des Massenmords würde sich nicht mit einer Sprache ankündigen, die uns vertraut ist. Das Nazi-Szenario von 1941 wird nicht in der exakt gleichen Form auferstehen, aber einige ihrer wesentlichen Elemente haben sich bereits herausgeschält. Es ist nicht schwer, sich den ethnischen Massenmord in Afrika vorzustellen, wo er bereits stattfand, oder den Triumph eines gewalttätigen Totalitarismus in den austrocknenden Regionen des Mittleren Ostens durch eine Abart des Islamismus, oder Chinas Kampf um Ressourcen in Afrika oder in Russland oder Osteuropa, der die Vertreibung der dort bereits lebenden Bevölkerung einschließt, oder eine weltweite ökologische Panik, nachdem Amerika sich von der Klimawissenschaft lossagt und die Europäische Union auseinanderbricht.

Heute stehen wir der gleichen grundlegenden Wahl zwischen Wissenschaft und Ideologie gegenüber, der einst Deutschland gegenüberstand. Werden wir die empirischen Beweise akzeptieren und neue Technologien der Energiegewinnung unterstützen, oder lassen wir es zu, dass Wellen ökologischer Panik durch die Welt schwappen?

Wissenschaft abzulehnen ruft die Geister der Vergangenheit herauf, die unsere Zukunft gefährden.

Timothy Snyder ist Professor für Geschichte an der Yale University und Autor von Schwarze Erde: Der Holocaust.

Von Timothy Snyder (ins Deutsche übersetzt von hhh)

12.09.2015, New Haven