Traum und Wirklichkeit

31. Dezember 2018

Manchmal scheitere ich in meinem Bemühen, herauszubekommen, was Marxisten meinen, wenn sie meinen, ihren Mitmenschen einen Gedanken von Marx nahe zu bringen.

So ist es auch in diesem Fall. In dem Marxjahr-Schwerpunktheft der Luxemburg 2/3 2017 zitiert Michael Brie auf S. 23: aus einem 1843 verfassten Brief von Marx an Arnold Ruge die folgende Passage:

Unser ganzer Zweck kann in nichts anderes bestehn, […] als dass die religiösen und politischen Fragen in die selbstbewusste menschliche Form gebracht werden. Unser Wahlspruch muss also sein: Reform des Bewusstseins nicht durch Dogmen, sondern durch Analysierung des mystischen, sich selbst unklaren Bewusstseins, trete es nun religiös, oder politisch auf. Es wird sich dann zeigen, dass die Welt längst den Traum von einer Sache besitzt, von der sie nur das Bewusstsein besitzen muss, um sie wirklich zu besitzen”

Marx, Brief an Anold Ruge, Kreuznach, September 1843, MEW 1 S. 343-246

Hier fällt natürlich auf, dass Marx zu der Zeit womöglich bereits vom Traum des Gedanken erfasst war, dass es darauf ankäme, die Welt zu verändern, und  das Marx bereits schwante, dass deren weltgemeinschaftliche Inbesitznahme nicht vom richtigen Bewusstsein geschafft werden kann (und dieses richtige Bewusstsein durch Analyse der weltlichen Beweggründe fürs Träumen zu erlangenen wäre), sondern dass die tatsächliche Möglichkeit geschaffen werden muss, die Geschicke der Welt öko-kommunistisch zu gestalten, aber dass Marx damals noch nicht so weit war, dies so zum Ausdruck zu bringen, also noch kein richtiges Bewusstsein der materiellen Voraussetzungen einer wirklichen Inbesitzname hatte.

Brie erklärt:

Dieses Bewusstsein von der Sache lag für Marx in der Untersuchung der realen Verhältnisse, in denen die Menschen ihr eigenes Bewusstsein hervorbringen. Dieses politische Ziel hat seine Analysen entscheidend geprägt.”

Dieses Bewusstsein? Das Bewusstsein, mit dem die Welt angeblich in Besitz genommen werden kann? Es liegt in der Untersuchung der realen Verhältnisse? Nicht vielleicht in den realen Verhältnissen verborgen? Als Keimform eines politischen Willens? Durch die realen Verhältnisse angetrieben?  Und von welchem politischen Ziel ist hier die Rede? Ich verstehe es nicht.

 


Die Negation der Negation, die hat immer Recht?

30. Dezember 2018

Ist die „In-Wert-Setzung“ wirklich DER Sündenfall Teil 2 (Zum Teil 1 geht’s hier)

Was ich mache, fragt Facebook ab und zu. Hier kann ich’s ja sagen. Schmökere gerade im Sammelband „Karl Marx – Philosophie, Pädagogik, Gesellschaftstheorie und Politik“ Der Untertitel kangt mir vielversprechend: „Aktualität und Perspektiven der Marxschen Praxisphilosophie“. Sätze wie die folgenden versetzten der frohen Erwartung allerdings einen Dämpfer:

„Obwohl Marx die Dialektik der gesellschaftlichen Praxis nie aufgegeben hat, (…) verfolgt er mit seinem unabgeschlossenen Mamutwerk, der Kritik der politischen Ökonomie“ ab 1858 und deren Herzstück „Das Kapital“ (1867) ein eingeschränktes und zugleich radikales Ziel, nämlich die Beweisführung, dass die kapitalistische Wertökonomie (…) grundsätzlich die Negation der Grundlagen des gesellschaftlichen Lebens und ihrer Fundierung in die Natur darstellt, sodass dadurch die unausweichliche praktische Notwendigkeit einer Negation der Negation, d.h. der revolutionären Überwindung der Wertökonomie einsichtig wird (…) Die Kritik der politischen Ökonomie ist insofern eine rein negative Ökonomie, die an der Wertlogik des Kapitals immanent zu zeigen versucht, dass sie die Arbeit und die Natur negiert und daher grundlegend in einem sich steigernden Widerspruch zum menschlichen Leben steht, weshalb grundsätzlich eine Reformierung oder Humanisierung der kapitalistischen Wertlogik ausgeschlossen ist. Daher bleibt für das Überleben der Menschheit praktisch nur die praktische Aufgabe der revolutionären Umwälzung der Weltökonomie übrig.

Eine solche negative Theorie kann sich nicht aus sich selbst begründen, sondern sie setzt die geschichtsmaterialistische Dialektik der frühen Schriften – von den Pariser Manuskripten von 1844 bis zum Kommunistischen Manifest von 1848 – zu ihrer Grundlegung voraus.“

Wolfdiedrich Schmied-Kowalzik: Zur Aktualität der Praxisphilosophie von Marx in „Karl Marx – Philosophie, Pädagogik, Gesellschaftstheorie und Politik“ S. 26-27

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Ist „In-Wert-Setzung“ wirklich DER Sündenfall? (1)

20. Dezember 2018

Es ist natürlich kein Zufall, dass mir mein schon sehr lange währendes Unbehagen über gewisse Formen des bekennenden Anti-Kapitalismus gerade auch im Kontext mit Herausforderungen ökologischer Natur während des neulich von der Rosa Luxemburg Stiftung veranstalteten Symosioms zur Ehren von Elmar Altvater wieder stark zu Bewusstsein kam und mir nun um so mehr auf der Seele lastet, als ich einmal wieder nicht den Mund aufbekam.

Zum Teil 2 gehts HIER

Altvaters wiederholte Hinweise auf den gewaltigen Unterschied zwischen irreversiblen Naturprozessen und den anscheinend ewig wiederholbaren Kreisläufen des Geldes, also der Naturvergessenheit der „Realabstraktion“, die die kapitalistischen Produktionsbedingungen bedeuten, sind vom Ansatz richtig und sie wurden vom Meister Altvater stets sehr plastisch erzählt, zuweilen auch ausgesprochen drastisch: Man kann zwar aus einem Aquarium voller Zierfische eine Fischsuppe machen, aber die Fischsuppe lässt sich hinterher nicht zurückverwandeln – auch wenn die Tatsache, dass man die Fischsuppe verkaufen, und von dem Geld neue Fische kaufen kann, anderes suggerieren möge. Ist ein Regenwald einmal abgeholzt, kann das dafür eingenommene Geld den zerstörten Wald nicht zurückholen.

Stimmt alles, aber auch sehr starke Wahrheiten lassen sich zu Tode reiten. Birgit Mahnkkopf wies in ihrer Erinnerungsrede an ihren langjährigen Partner darauf hin, dass Altvater bereits in den 1970er Jahren gezeigt habe, dass alle Versuche der Internalisierung von Umweltkosten in die Preisstruktur und damit dem kapitalistischen Inwertsetzungsprozess (durch Steuern, Gebühren usw.) in ökologischer Hinsicht zum Scheitern verurteilt seien. Kapitalistisches Wirtschaften („die Marktwirtschaft“) bliebe von der Funktionsstruktur her immer auf Expansion angewiesen, d.h. es müsste sich zwangsläufig immer mehr Gebiete (geologische Räume, Lebensgebiete, Bereiche der Natur) einverleiben. Deshalb sei der Wettlauf zwischen Externalisierungsdruck (Abwälzung von Umweltkosten auf Akteure, die den Inwertsetzungsprozess nicht berühren) und Internalisierungsbemühungen (Verordnete Bepreisung von Naturressourcen) nicht nur nicht gewinnbar, sondern im Gegenteil würde der Widerstand gegen die kapitalistische „Landnahme“ (Klaus Dörre) geschwächt: einerseits, weil Illusionen in die Reformierbarkeit der kapitalistische Verwertungsspähre geschaffen würden, andererseits weil die berühmte Effizienz zu der die Konkurrenz der Selbstbereicherungsagenturen nötige, stets irgendwo die „externalisierten“ Umweltkosten sozio-ökologischer Natur erhöhte.

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