Reich der Freiheit

29. März 2008

km1.jpgDas Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört; es liegt also der Natur der Sache nach jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion.

(….)

Mit seiner Entwicklung erweitert sich dies Reich der Naturnotwendigkeit, weil die Bedürfnisse; aber zugleich erweitern sich die Produktivkräfte, die diese befriedigen.

Die Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehn, daß der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle ringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehn.

Aber es bleibt dies immer ein Reich der Notwendigeit. Jenseits desselben beginnt die menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gilt, das wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich der Notwendigkeit als seiner Basis aufblühn kann.

Die Verkürzung des Arbeitstags ist die Grundbedingung.

Marx: Das Kapital, MEW Bd. 25, S. 828

Nunja, Marx hoch “kantiges” Lob des Selbstzwecks menschlicher Kraftentwicklung als Inbegriff von Freiheit ist zunächst – so einseitig – schwer nachvollziehbar. Auch eine mit sich selbst im Reinen befindliche Kraftentwicklung, müsste letztlich als öde weil “zwecklos” empfunden werden, wenn sie nicht vom Bewusstsein mitgetragen würde, auch “äußere Zwecke” zu erfüllten.

Schließlich sind gesellschaftliche Entwicklungen denkbar, die es zu einem Vergnügen machen, sich “äußere Zwecke” zu eigen zu machen. Dem “Selbst” eines mit dem sozialen Gegenüber assoziierten Produzenten könnte es ein inneres Bedürfnis geworden sein, die Zwecke gemeinsam zu bestimmen. Wer einen bestimmten Aufwand “unter den der menschlichen Natur am meisten adäquaten Bedingungen” leisten und den Zweck der Mühe selbst mitbestimmen kann, dem kann die egoistische Freude am eigenen Wirken nicht durch das Bewusstsein vermiest werden, damit zugleich auch anderen geholfen zu haben, ihre Zwecke zu erfüllen.

Das ist etwas anderes, als das, was mit der im “Realen Sozialismus” beliebten Floskel gemeint ist, dass Freiheit “Einsicht in die Notwendigkeit” sei. Solange Zwänge (und fremde Ziele) notwendig scheinen, um zu sozial und ökologisch verantwortbarem Handeln zu kommen, ist diese “Freiheit durch Einsicht” nur eine dem Umständen geschuldete Notlüge.

Für uns vom Warensinn durchdrungene “Charaktermasken” kapitalistischer Vergesellschaftung, die sich als losgelöst von den Bedürfnissen der Mitmenschen empfinden und zur Arbeit für andere genötigt werden müssen, könnten äußere – also nicht als Instrumente eigener Bedürfnisentwicklung und Befriedigung gewusste – Zwänge durchaus Fortschritte in der Befreiung bedeuten – etwa der Befreiung aus den Zwängen unzeitgemäßer Traditionen. Aber erst durch die Erfahrung, mit dafür gesorgt zu haben, dass beim “menschlichen Stoffwechsel mit der Natur” unnützer Aufwand und Schaden unterbleibt, betreten wir das Reich der Freiheit.

Arbeitszeitverlängerung ist Freiheitsberaubung!

Wie sollen sich Menschen, die mehr als 30 Stunden in der Woche fremdbestimmt arbeiten, zu allseits gebildeten Bürgern von Welt entwickeln, die zur demokratischen Teilhabe willens und fähig sind?

Der mit dem Begriff “Arbeitszeitverkürzung” beschriebene Freiheitsgewinn besteht allerdings nicht nur durch einen früheren Feierabend sondern auch als Senkung des Anteils an fremdbestimmten, ungewollten, nicht selbst mit durchdachten bzw. in einem (welt-) gemeinschaftlichen Abwägungsprozess als überflüssige, schädliche Zwecke (Mengen, Methoden usw.) der Produktion (an-)erkannt sind.

hhirschel