Versuch, Hartmut Rosas Lob der UNVERFÜGBARKEIT zu verstehen (3)

Zu Teil 1 und Teil 2

Jetzt liegt das hier schon so lange im Entwurf Ordner, und nun soll das auch so veröffentlicht sein, das heißt unvollendet. Werde wohl auch keine Zeit mehr in den Versuch investieren, Hartmut Rosa zu verstehen. Mein Eindruck bleibt deshalb unüberprüft, dass das Weiterlesen wahrscheinlich der Mühe nicht wert sein würde. War wild entschlossen, Rosas Traktat so gutwillig es geht zu behandeln und jedes Stück versteckten (Öko-)Kommunismus zu feiern. Aber mir wurde es schnell schlicht zu bunt.

Die ganze Geschichte mit der „Resonanz“ kommt mir ein wenig wie eine Luftballonversion von Axel Honneths „Anerkennung“ vor. Aber das liegt vielleicht an meiner philosophischen Bildungsferne und meine Unlust, weiter zu lesen.

Um nicht ganz zu verschwinden, solange ich an meinem Projekt zur Machbarkeit planetarischer Vernunft laborieren, werde ich demnächst ein paar andere Dinge hier aufgreifen wie die rechtsdrehende Hysterie über die sogenannte „Identitätspoltik“, was Klimapolitisch Sache ist usw. – etwa zu dem Interview mit Maja Göpel in der Taz Future Zwei, dass der öffentlichen Reflexion wirklich lohnt.

Aber erst einmal der Rest vom Schützenfest:

Wir erinnern uns: Hartmut Rosa liebt authentischen Winterzauber mit echtem Schnee und er erinnert daran, wie schön es ist, dass man nie im Voraus weiß, wie Fußballspiele ausgehen oder ob man einmal Krebs bekommt. Nun soll es also darum gehen, wie er diese Phänomene bzw. die Gedanken, die sie bei ihm auslösen, in eine soziologische Unverfügbarkeitstheorie einordnet.

„Vom Spiel zur Liebe und vom Schnee zum Tod: Unverfügbarkeit konstituiert menschliches Leben und menschliche Grunderfahrung, und man fragt nach ‚der Weltbeziehung der Moderne‘, das heißt nach der Art und Weise, wie die Institutionen und kulturellen Praktiken der Gegenwartsgesellschaft auf Welt Bezug nehmen und wie wir infolgedessen als moderne Subjekte in die Welt gestellt sind, dann scheint die Art und Weise, wie wir individuell, kulturell, institutionell und strukturell zum Unverfügbaren in Beziehung treten, einen kardinalen Analysefokus zu bilden.

Ich will auf den folgenden Seiten versuchen, diesen Fokus konsequent auf die Alltagspraktiken und die sozialen Konflikte der spätmodernen Gegenwartsgesellschaften anzuwenden, um zu prüfen, was man aus dieser Perspektive erkennen kann.

Meine Ausgangsthese dabei lautet:

Indem wir Spätmodernen auf allen Ebenen – individuell, kulturell, institutionell und strukturell – auf die Verfügbarmachung von Welt zielen, begegnet uns die Welt stets als „Aggressionspunkt“ oder als Serie von Aggressionspunkten, das heißt, von Objekten, die es zu wissen, zu erreichen, zu erobern, zu beherrschen oder zu nutzen gilt, und genau dadurch scheint sich uns das „Leben“, das, was die Erfahrung von Lebendigkeit und von Begegnungen ausmacht – das, was Resonanz ermöglicht -, zu entziehen, was wiederum zu Angst, Frust, Wut, ja Verzweiflung führt, die sich unter anderem in ohnmächtigem politischem Aggressionsverhalten niederschlagen.“

Puh, seltsam, im Nebel zu wandern. Meine Marx-Brille war auf der Stelle beschlagen und auch im Hinblick auf Anhaltspunkte für die so dringend benötigte Befähigung, mit der Klimakrise fertig zu werden, ich sehe – erst einmal nichts. Ok, ich versuche es trotzdem.

Wenn man sich also nach H. Rosa vor Augen führt, dass die Unerreichbarkeit von allerlei Wünschenswertem zur menschlichen Grunderfahrung gehört (ein Schicksal, das wir Menschen allerdings mit den anderen Tieren teilen) und zugleich nach der Art und Weise fragt, „wie die Institutionen und kulturellen Praktiken der Gegenwartsgesellschaft auf Welt Bezug nehmen“ (auf Welt?) und wenn man dabei herausfindet, welchem In-die-Welt-gestellt-Sein (wahrscheinlich meint er, welchen Interaktionsbedingungen) „wir moderne Menschen“ unterliegen, dann wissen wir: „die Art und Weise, wie wir individuell, kulturell, institutionell und strukturell zum Unverfügbaren in Beziehung treten“ scheint „einen kardinalen Analysefokus zu bilden“.

Was könnte er damit meinen? Soviel scheint immerhin klar: Hartmut Rosa schaut sich das kapitalistische Treiben daraufhin an, wie man als Subjekt dieses Treibens (nach Rosa, als Mensch der Spätmoderne) auf die Unverfügbarkeit von etwas Begehrten reagiert. Und was er dabei entdeckt, scheint aus seiner Sicht nahezulegen, dass sich irgendwie alles um „die Beziehung zum Unverfügbaren“ dreht und dies deshalb im Zentrum seiner Analyse stehen sollte.

Ok, vielleicht werden wir später erfahren, wessen Beziehung zu in welcher Hinsicht und zu welchen gesellschaftlichen Vor- oder Nachteilen Unverfügbarem Rosa aus welchen Gründen falsch, richtig, problematisch oder veränderungswürdig findet Und vielleicht helfen uns die dabei zu gewinnenden Erkenntnisse sogar, der Klimakrise Herr zu werden. Auf Seite 9 sieht das Ergebnis von Rosas Analyse erst einmal so aus:

Eine Vorstellung geht um in Europa (und wohin sonst das Rosa’sche „WIR“ und „UNSER“ reicht):

„Unser Leben wird besser, wenn es uns gelingt, (mehr) Welt in Reichweite zu bringen“, so lautet das unausgesprochene aber im Handeln unablässig reiterierte [Anm. hh: beständig wiederholte] und reifizierte Mantra des modernen Lebens. „Handle jederzeit so, dass deine Weltreichweite größer wird“: Dieser kategorische Imperativ ist, wie ich in diesem Essay zeigen möchte, in der Spätmoderne zum dominanten Entscheidungsprinzip in allen Lebensbereichen und über alle Lebensbereiche vom Kleinkind bis zum Greis geworden. Und erklärt zunächst die Attraktivität des Geldes:

Wie viel Welt wir in Reichweite haben, lässt sich unmittelbar an unserem Kontostand ablesen. Ist er hoch, dann liegen die Kreuzfahrt in der Südsee, das Wochenendhäuschen in den Alpen, die Luxuswohnung in Hamburg-Winterhude, der Ferrari, die Diamantenkette, der Steinwayflügel, auch die Ayurveda-Kur in Südindien oder eine geführte und gesicherte Tour auf den Mount Everest in unserer Reichweite; sind wir Milliardäre, kommt sogar ein Flug zum Mond in Betracht. Sind wir dagegen tief im Soll, können wir uns vielleicht den Bus nach Hause, das belegte Brötchen und die Kellerwohnung nicht mehr leisten. Sie liegen außerhalb unserer finanziellen Reichweite.

Meine Lust, weiterzulesen, ist nahe dem Nullpunkt. Was als soziologische Großtheorie daherzukommen vorgibt, beginnt mit kulturalistischem Kuddelmuddel. Das geschieht, wenn Marx als toter Hund behandelt wird und man glaubt, über den Blick auf die kapitalistischen Produktionsbedingungen und wie diese das menschliche Wollen und Tun strukturieren, hinaus zu sein.

An dieser Stelle sieht es jedenfalls so aus, als sieht er unterschiedslos in allem Streben nach Erweiterung sozialer Fähigkeiten und Erkenntnisse „einer Serie von Aggressionspunkten“, die alles Begehrte „zu Objekten macht, die es zu wissen, zu erreichen, zu erobern, zu beherrschen oder zu nutzen gilt“ wodurch nach Rosa „das, was die Erfahrung von Lebendigkeit und von Begegnungen ausmacht“ verloren geht und „zu Angst, Frust, Wut, ja Verzweiflung führt, die sich unter anderem in ohnmächtigem politischem Aggressionsverhalten niederschlagen.“

Tatsächlich muss ich gestehen, dass mich die bisherige Unverfügbarkeit irgendeines Anhaltspunktes, der mir eine Idee geben könnte, was genau Rosas Problem mit dem Begehren nach mehr Handlungsmöglichkeiten oder nach Erweiterung der gesellschaftlichen Wissensbasis sein könnte, tatsächlich ein wenig aggressiv stimmt, obwohl mir das beim derzeitigen Stand meiner Lektüre wohl nicht zusteht. Das „ohnmächtig politische Aggressionsverhalten“ ist derzeit vor allem bei rechtsdrehenden Mitmenschen zu beobachten, die sich tapfer den Erkenntnissen der Klimawissenschaft verweigern, allerlei Verschwörungsmythen aufsitzen und in Facebook-Kommentaren verbreiten, öffentlich rechtlich verfasste Medien „Staatsfunk“ und Organe der „Merkeldiktatur“ nennen, Figuren wie Putin oder Trump bewundern und denken, dass diese für das einfache Volk kämpfen und sie höchstpersönlich von den Zumutungen des modernen Verbesserungswettkampfes befreien werden, die ihnen die in ihren Augen nichtsnutzigen „Eliten“ aufbürden.

Tatsächlich sind dies Krisenerscheinungen, die etwas mit einem schwindenden Gefühl zu schaffen haben, dass das zentrale Versprechen der kapitalistischen „Moderne“, nämlich dass das Leben quasi automatisch immer besser, reicher und schöner wird, wenn nur die nationalstaatlich geschützte Freiheit der Konkurrenz um die Fähigkeit privater Produktionsagenturen, der Gesellschaft zu einem günstigeren Preis mehr und qualitativ höherwertigere Produkte zu präsentieren als die Konkurrenz es vermag, nicht daran gehindert wird, ihren Job zu machen. Dass es keine Alternative zum Ölen der kapitalistischen Fortschrittsmaschinerie gibt, ist nicht nur der Schlachtruf des Neoliberalismus. Dieser Glaube einte bisher alle im Parlament vertretenen Kräfte, einschließlich der Partei der Linken. Eine öffentliche Debatte über demokratischen Sozialismus gibt es nicht, wenigstens keine irgendwie relevante. ausgerechnet durch die großen Erfolge der liebgewordenen Fortschrittsmaschinerie Kapitalismus in die Krise.

Die erwachende Einsicht, daß die bestehenden gesellschaftlichen Einrichtungen unvernünftig und ungerecht sind, daß Vernunft Unsinn, Wohltat Plage geworden, ist nur ein Anzeichen davon, daß in den Produktionsmethoden und Austauschformen in aller Stille Veränderungen vor sich gegangen sind, zu denen die auf frühere ökonomische Bedingungen zugeschnittne gesellschaftliche Ordnung nicht mehr stimmt.

Engels: Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft, MEW Bd. 19, S. 210

Die von der freien Konkurrenz voran gepeitschte Entwicklung des Menschenmöglichen gerät auch im globalen Maßstab und die bisherigen Wohlstandszonen spürbar immer mehr im Widerspruch mit den Rationalitätsbedingungen seiner Verfügbarmachung und Weiterentwicklung. Grundlegende Produktivkräfte der Natur, Wälder, Bodenfruchtbarkeit, die Meeresökologie und sogar die relative Klimastabilität des Holozäns, welche die Entwicklung der menschlichen Zivilisation erst möglich gemacht hatte, …

Naja, vielleicht setze ich das ein anderes Mal fort.

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