Verstaatlichung = Sozialismus?

13. Januar 2009

cropped-marxbah.jpg

Schließlich haben wir gezeigt, daß die Aufhebung des Privateigentums und der Teilung der Arbeit selbst die Vereinigung der Individuen auf der durch die jetzigen Produktivkräfte und den Weltverkehr gegebenen Basis ist. Innerhalb der kommunistischen Gesellschaft, der einzigen, worin die originelle und freie Entwicklung der Individuen keine Phrase ist, ist sie bedingt eben durch den Zusammenhang der Individuen, ein Zusammenhang, der teils in den ökonomischen Voraussetzungen besteht, teils in der notwendigen Solidarität der freien Entwicklung Aller, und endlich in der universellen Betätigungsweise der Individuen auf der Basis der vorhandenen Produktivkräfte.

Es handelt sich hier also um Individuen auf einer bestimmten historischen Entwicklungsstufe, keineswegs um beliebige zufällige Individuen, auch abgesehen von der notwendigen kommunistischen Revolution, die selbst eine gemeinsame Bedingung ihrer freien Entwicklung ist.

Marx/Engels: Die deutsche Ideologie, MEW Bd. 3, S. 425

 

„Den Eindruck einer Verstaatlichung der Commerzbank versucht man in Berlin zu vermeiden“ vermeldete Nicola Liebert in der Taz vom 10.1.09 Und:

Der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering betonte im ZDF, es handele sich keinesfalls um eine Teilverstaatlichung und die Bundesregierung werde „auf die Geschäfte keinen Einfluss nehmen“. Ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums führte aus: „Es wäre völlig fatal, wenn eine Regierung in solcher Situation versuchen würde, auf das operative Geschäft Einfluss zu nehmen.“

Dem Bericht zufolge hat der Bund bereits 18 Milliarden € in die Commerzbank gesteckt – für ein Unternehmen, dass an der Börse zur Zeit des „Eingriffs“ nur noch 3,8 Milliarden Euro wert war. Dafür verfügt der Deutsche Staat nun über ein Viertel des Aktienbestandes, das aber um Himmels Willen nicht für politische Richtungsentscheidungen (etwa zur Förderung von Klimaschutzprogrammen) genutzt werden soll.

Das zeigt, wie durch und durch „kapitalistisch“ diese Teilverstaatlichung verläuft und im Übrigen wie viel neoliberale Ideologie immer noch im Spiel ist.  Eine Entideologisierung der Frage nach dem (möglichen) Sinn von Staatsunternehmen, und unter welchen Voraussetzungen (!) sie mehr soziale Steuerung ermöglichen könnten, wäre allerdings notwendig.

Natürlich ist Michael Heinrichs Einwand (in der Taz vom 14.01.09) richtig, dass an sich  „eine Verstaatlichung lediglich die Akteure austauscht, ohne die Struktur anzutasten“, und dass es darauf aufkommt, die Spielregeln zu verändern nach denen Reichtum heute weltweit produziert und angeeignet wird.

Allerdings: Wenn Banken to big to fail sind und durch Staatsgarantien gerettet werden müssen, weil sonst deren Pleite den gesamten Zahlungsverkehr zum Erliegen bringen kann, liegt die Frage nahe, ob so ein riesiges Erpressungspotenzial in privaten Händen gut aufgehoben ist. Und es stellt sich die Frage,  wie  es unter diesen Umständen mit der gesellschaftlichen Macht zur Anpassung  der Spielregeln an soziale und ökologische Anforderungen bestellt ist.

Der Fehlanreiz, den so eine Pleiteversicherung für das Risikoverhalten der Privatakteure hat, ist außerdem nicht unähnlich der von  „neoliberaler“ Seite (einst) vorgebrachten Argumente gegen jede Staatswirtschaft.  Der auf die staatliche KFW zeigende Finger (dessen Risikoverhalten in der Tat von dem sicheren Gefühl eigener Unsinkbarkeit beeinflusst sein mag) entkräftet die Frage nach einer systematischen Fehlsteuerung durch übermächtige Privatunternehmen aber nicht wirklich.

Das heute selbst vom verbohrtesten Marktliberalen (wie etwa Hans Werner Sinn) zugestandene „Marktversagen“ lässt ganz selbstverständlich nach neuen Formen der Regulierung bzw. der  sozialen Kontrolle der Finanzmärkte suchen, die deren Risiken abmildern sollen.  Zugestandenes  „Staatsversagen“ wirft dagegen so gut wie nie die Frage auf, welche bessere Regulierungen bzw.  bessere soziale Kontrollen und Anreize es für das Handeln von  Staatsunternehmen geben könnte.

Nahe liegend wäre eine möglichst Ideologie freie Suche nach einer zeitgemäßen, Problem bewussten Antwort auf die Frage nach Notwendigkeit, Form und Inhalt von sozialer Kontrolle bzw. Mitbestimmungskompetenz.

In einem aktuell sichtbaren Fall: Kann eine sozial und umweltverträgliche Wärmeversorgung garantiert werden, wenn ein einziges Unternehmen (Gazprom)  in der Lage ist, ganzen Weltregionen seine Bedingungen zu diktieren? Ist hier nicht genauer nach Inhalt und Form der sozialen Kontrolle der staatlichen Aktienmehrheit zu fragen? Und wäre im Angesichts schmelzender Polkappen, Nahrungsmittelkrisen, Überfischung und Biodiversitätsverluste ein weltweites öffentliches Ressourcenmanagement unter der Regie einer reformierten UNO sooo undenkbar?

Überzeugene Argumente für eine Verstaatlichung der Banken führt der Chefökonom des DGB Dirk Hierschel im Handelsblatt ins Feld.  Nur so könne nicht nur eine „Kernschmelze“ der Banken verhindert, sondern auch  ein Minimum an sozialer Kontrolle und Schutz vor Sozialisierung garantiert und verhindert werden, dass  „Sachzwänge“ entstehen, die die Sozialisierung der Verluste zementieren.

Handelsblatt vom 07.04.2009
Der ökonomische Gastkommentar

Verstaatlicht die Banken!

von Dierk Hierschel

Die Verstaatlichung ist der effektivste Ausweg aus der Bankenkrise. Sie ist die billigste, risikoärmste und hinsichtlich der Lastenverteilung gerechteste Möglichkeit. Die Banken müssen nicht ewig in Staatshand bleiben. Aber zumindest so lange, bis sie die Kosten des Rettungseinsatzes erwirtschaftet haben.

Michael Jäger denkt im Freitag laut über eine Enteignung der Immobilienbesitzerin von Karstatt nach. Ein Gedanke, der das Geschäftsmodell „Unternehmen kaufen, dessen Immobilien an eine Tochterfirma verkaufen,  die das Unternehmen mit Wuchermieten in die Pleite treibt“ von vornherein mit einem gewissen Risiko behaften würde. Ja, warum nicht?

Die Angestellten von Karstadt müssen für Wuchermieten aufkommen. Da zeigt sich denn doch, dass Staatshilfe sinnvoll wäre, nämlich eine Enteignung des Vermieters nach Artikel 14 des Grundgesetzes. Schade, das haben die Grünen nicht gefordert, aber tat es denn statt ihrer die SPD?

Michael Jäger im Freitag vom 18.6.09

Marx zum Thema Verstaatlichung (1)


Modernität statt Zwangsvergemeinschaftung?

4. Oktober 2008

Wie wird in Linkspartei-Kreisen über ökologische Perspektiven diskutiert?

In einem Beitrag der Reihe Standpunkte– 7/2007 der Rosa Luxemburg Stiftung über linke Öko-Politik wendet sich Dr. Ulrich Schachtschneider gegen linke Bevormundung und Zwangsvergemeinschaftung

Linke Nachhaltigkeitspolitik akzeptiert die Pluralität der Moderne

(…) Die soziale Frage mitdenken heißt ebenso, die Sozialstrukturen der Moderne mitzudenken. Gegen sie kann (und sollte) keine Umweltpolitik gemacht werden. Die Moderne ist durch eine Tendenz der Fragmentierung der Lebenswelten gekennzeichnet. Normen und Werte unterliegen einer Entsubstantialisierung. Es wird immer weniger Übereinkünfte über einen bestimmten, richtigen Lebensstil geben. Die Milieus mit ihren Konsumtionsformen, Verhaltensregeln und Lebensformen driften auseinander, sie nehmen kaum mehr Kenntnis voneinander.

Vor diesem Hintergrund macht es keinen Sinn, bestimmte ökologisch motivierte Lebensstile verallgemeinern zu wollen, etwa durch Appelle. Der Einzelne steht in der modernen Gesellschaft vor der Aufgabe, sein nicht mehr vorgegebenes Leben zu inszenieren und sich durch seine gelungene Inszenierung von anderen abzuheben. Dies kann etwa einer kleinen Gruppe durch Vorleben eines ökologisch besseren Lebensstils gelingen. Dieses Milieu zieht ihren Distinktionsgewinn daraus, dass sie hier Vorreiter sind. Genau dieser Mechanismus verhindert aber die Verallgemeinerung ihres Lebensstils.

Die distinktionsfördernde Avantgardeposition ist ein positionelles Gut, dass mit seiner Verbreiterung schwindet. Wir können in der modernen Gesellschaft nicht erwarten, dass sich ein relevanter Teil der Menschen diesem Lebensstil anschließt. Es gibt hunderte anderer Möglichkeiten, sich zu inszenieren, die für die meisten Menschen nahe liegender sind.

Aus der Pluralisierung der Lebensstile folgt, das Regeln abstrakter werden müssen, sollen sie die Chance auf Akzeptanz, auf Geltung bei allen haben. Wir können etwa nicht im Detail vorschreiben, welche Wagen mit welchen Spritverbräuchen zu fahren sind oder nicht. Wir können zum Beispiel nicht geltungsbedürftig Städtern ihre 30-L-Geländewagen verbieten und Ökofreaks auf dem Lande die tägliche Nutzung ihrer alten Lieferwagen weiter gestatten, auch wenn uns die letztere Kultur wahrscheinlich eher zusagt.

Ebenso werden wir nicht vorschreiben können, wie viel Gemüse aus Übersee und wie viel aus regionaler Produktion von jedem zu konsumieren sind oder im Angebot eines Lebensmittelladens vorhanden sein sollten, mit welchen Möbeln jemand seine Wohnung einrichtet, welche ökologisch korrekten Kleidungsstücke er sich kauft usw.

Wenn wir nicht im Detail regeln können und wollen, kann dies nur über den Preis gehen. Nur er ermöglicht den Individuen eine der Modernen angemessene Handlungsfreiheit bei gleichzeitiger Setzung einer Grenze seines Gesamt-Umweltverbrauchs.


Umweltverbesserung Leitwährung einer höheren ökonomischen Gesellschaftsformation?

4. Februar 2008

„Vom Standpunkt einer höhern ökonomischen Gesellschaftsformation wird das Privateigentum einzelner Individuen am Erdball ganz so abgeschmackt erscheinen wie das Privateigentum eines Menschen an einem andern Menschen.

Selbst eine ganze Gesellschaft, eine Nation, ja alle gleichzeitigen Gesellschaften zusammengenommen, sind“ [Anm. hh: vom Standpunkt einer höheren Gesellschaftsform aus betrachtet] „nicht Eigentümer der Erde. Sie sind nur ihre Besitzer, ihre Nutznießer, und haben sie als boni patres familias den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen.“

Marx: Das Kapital, MEW Bd. 25, S. 784