Demokratie versus Nachhaltigkeit?

Die Helle Panke hatte eine aus meiner Sicht außergewöhnlich interessantes Webinar veranstaltet. Boris Frankel sprach über Probleme und Konturen einer Postwachstumsgesellschaft.

Hintergrund ist eine von Frankel verfasste Trilogie über die politische Ökonomie der Umweltkrise. Die drei Bücher können von seiner Webseite als PDF heruntergeladen werden:

Fictions of Sustainability: The Politics of Growth and Post-Capitalist Futures(2018)

Capitalism Versus Democracy? Rethinking Politics in the Age of Environmental Crisis(2020) and 

Democracy Versus Sustainability: Inequality, Material Footprints and Post-Carbon Futures (2021).

Werde mir die drei Bände ansehen und hier von Zeit zu Zeit Aussagen vorstellen und kommentieren, von denen ich denke, dass sie zur Klärung von Fragen beitragen können, denen ich hier bzw. in dem Projekt, an dem ich gerade arbeite, nachgehe. Zu klären sind Bedingungen der Machbarkeit und Vernunft explizit demokratischer Übergänge zu weltgemeinschaftlich verantworteten Formen der planetaren Arbeitsteilung, mit denen es gelingen kann, den anthropogenen Stoffaustausch auf eine tatsächlich menschengerechte Weise zur ökologischen Vernunft zu bringen.

Ich beginne mit dem zuletzt erschienenen Band. Wie genau dessen Titel zu verstehen ist, ist mir zu diesem Zeitpunkt zwar nicht klar. Dem Vortrag und dem, was auf Frankels Website dazu finde, entnehme ich aber, dass damit nicht gemeint ist, dass Nachhaltigkeit und Demokratie einen unaufhebbaren Antagonismus darstellen.

Inzwischen ist der Vortrag Online

Zum Buch

Frankel verspricht in dem Buch Demokratie versus Nachhaltigkeit eine detaillierte Analyse der Auseinandersetzungen, die die verschiedenen Parteien (den etablierten und den nicht etablierten), Akteure der Wirtschaft und der sozialen Bewegungen, politische Strategen usw. um die mögliche Gestalt der sich abzeichnenden Post Carbon Gesellschaft führen. Werden diese Post-Carbon Societies neue Formen des Kapitalismus hervorbringen, mit Klassen und gesellschaftlichen Verhältnissen, die den gegenwärtig existierenden ähneln, aber eine auf grünem Wachstum basierende Modernisierung vollziehen? Oder werden Post Carbon Demokratien geschaffen, die postkapitalistisch sein werden und unterschiedliche Strömungen des Ökosozialismus, der Postwachstumsbewegung und ähnliches in sich aufnehmen? Werden sich diese soziopolitischen Veränderungen im Anbetracht der Sackgasse, in der sich Politik gegenwärtig zu befinden scheint, im Rahmen der parlamentarischen Institutionen vollziehen oder werden sie in Opposition zur gegenwärtigen Praxis der parlamentarischen Demokratie geschaffen werden?

Frankel sieht einen tiefgreifenden Mangel an bewusstem Nachdenken über kommende Kämpfe um die nationalen und individuellen Fußabdrücke im Hinblick auf Materialgebrauch und den gravierenden Veränderungen, in der materielle Ressourcen gegenwärtig genutzt werden, die die sozio-ökonomische Verfasstheit und Stellung sowohl der demokratischen als auch der anti-demokratischen Parteien und Bewegungen des gesamten politischen Spektrums verändern werden.

Zu bedenken sei außerdem, dass diese Auseinandersetzungen wahrscheinlich die geostrategischen Beziehungen und damit die heutigen Ausmaße an Ressourcenausbeutung, Produktion, Handel, Konsum und Beschäftigung verändern. Es muss verstanden werden, dass wir unsicheren und nicht vorhersagbaren Zeiten entgegengehen.

Was es festzuhalten gilt

  1. Es gibt keinen Konsens darüber, was genau unter Demokratie und ökologischer Nachhaltigkeit zu verstehen ist, geschweige, wie das Verhältnis zwischen beiden in Zukunft sein soll. Zu klären wäre beispielsweise, ob sich das eine nur auf Kosten des anderen ausdehnen kann und was geschehen muss, damit gleichzeitig beides gedeihen kann. (S.1)
  2. Dieser Mangel an Klarheit über die gegenwärtig bestehenden und die in Zukunft möglichen Beziehungen zwischen verschiedenen Typen von Demokratie und verschiedenen Level ökologischer Nachhaltigkeit werden in den kommenden Jahren, in denen Politik zunehmend durch Konflikte zwischen demokratischen Rechten und wünschenswerten Nachhaltigkeitszielen beeinflusst werden wird, an Bedeutung gewinnen.
  3. Dabei muss zwischen unmittelbar drängenden Nachhaltigkeitsproblemen und mittel- bis langfristig zu lösenden Fragen unterschieden werden, wie die Frage, mit welcher Art von Gesellschaft es möglich wäre, zugleich soziale Gerechtigkeit zu maximieren, und die bestmöglichen Wege zu finden, den biologischen Reichtum und die ökologische Nachhaltigkeit im Allgemeinen zu schützen.
  4. Am ehesten sichtbar wird der Konflikt zwischen Demokratie und Nachhaltigkeit gegenwärtig in den relativ breiten, doch qualitativ eher armseligen öffentlichen Debatten, wie mit der Klimakrise umzugehen ist. Probleme hier: Demokratische Prozesse folgen den Marktmechanismen. Die werden von vielen als Mittel angesehen werden, Ungleichheit zu legitimieren und zu verstärken. Zunehmend werden demokratische Prozesse auch als zu schwerfällig und von Eigeninteressen dominiert angesehen. Es wird bemängelt, dass sie zu langsam zu Entscheidungen kommen, die den Ausmaßen, der Tiefe und der Dringlichkeit dessen, was zur Vermeidung der Klimakatastrophe tatsächlich zu tun wäre, nicht gerecht werden. Andererseits wird argumentiert, dass wir ohne eine öffentliche Debatte nicht darauf vertrauen könnten, dass die Regierungen das Richtige tun und nicht falsche Entscheidungen treffen, die irreversible soziale und ökologische Katastrophen nach sich ziehen.

Climate Code Red

2008, 13 Jahre bevor im Jahre 2021 der IPCC die Alarmstufe Rot ausrief, hatten David Spratt und Philip Sutton Climate Code Red publiziert. (S.2) Was sie damals als „Normalzustand der politischen Paralyse“ beschrieben hatten, ist immer noch weltweit vorherrschend.

  1. Mangel an Dringlichkeitsbewusstsein und „politics as usal“ auf der Basis von Schönfärberei oder Leugnung
  2. Die Politik richtet sich nach den Märkten aus, statt sie zu dominieren
  3. Haushaltsmittel sind zu begrenzt
  4. Sozio-ökonomische Ziele sind von politischen Kompromissen und systemischer Trägheit bestimmt
  5. Eine nationale oder internationale Führung ist nicht vorhanden, während Politik als feindselig, langsam und auf kleine Schritte fixiert wahrgenommen wird.

10 Jahre vor dem ersten Auftritt von Greta Thunberg auf der UN Klimakonferenz in Katowice und 12 Jahre bevor im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen in den USA von 2020 die Forderung nach einem Green New Deal den Gedanken populär machten, hatten Sutton und Spratt von einer Klimakrise geredet, deren Dringlichkeit ähnliche Anstrengungen erfordern würde, wie die der Alliierten im Weltkrieg II. Den Alarmzustand zu erklären, stelle in Rechnung, dass die Geschwindigkeit, mit der Gegenmaßnahmen ergriffen werden, entscheidend seien. Deshalb müssen alle Ressourcen, die dafür notwendig sind, verfügbar und der Krisenlösung zugänglich gemacht werden, während die Her- und Bereitstellung nicht essenzieller Funktionen und Konsumgüter eingeschränkt oder rationiert werden müssten. Es seien jede Menge Erfindungsgeist und Planung erforderlich, um den notwendigen Übergang in eine Post Carbon Zukunft der erforderlichen kurzen Zeitspanne bewerkstelligen zu können, die die Regierungen mit Notstandsmaßnahmen bündeln müssten, für die zugleich überparteiliche Unterstützung und breite öffentliche Unterstützung zu erreichen wäre – denn versagen sei keine Option.

Wird fortgesetzt.

 

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