Bei der Betrachtung von Widersprüchen zwischen den Potenzialen menschlicher Schaffenskraft und den Möglichkeiten ihrer Anwendung sollte Schematismus vermieden werden (Stand: 14.9.10)

Zur Programmdebatte der Linken sie auch https://oekohumanismus.wordpress.com/2010/04/16/2869/

Im ND vom 31.05.2010 erörterte Hubert Fetzer im Rahmen der Programmdebatte „Offene Fragen der Linken“ unter dem Titel „Die ökologische Revolution und die Linken“, wie Fortschritte in der Entwicklung menschlicher Produktivkräfte auf die Produktionsbeziehungen einwirken. Den Focus auf diese – für Marx/Engels zentrale –  Wechselwirkung zu legen, ist verdienstvoll.


Leider entkommt Fetzers Betrachtung  nicht dem Schematismus, der einer tieferen und mehr ausdiffenrenzierten  Analyse der „Dialektik von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen eher im Wege steht.  Wenn Fetzer z.B. „die bisherigen Produktivkraftveränderungen im Kapitalismus (…) im Einklang mit den herrschenden Produktionsverhältnissen“ sieht, sieht das über eine Reihe höchst interessanter historischer Widersprüche zwischen dem menschlichen Potenzial und den Bedingungen ihrer Anwendung hinweg,  auch wenn es natürlich stimmt: Alle  noch so kräftigen Veränderungen bedeuteten immer auch eine Weiterentwicklung kapitalistischer Produktions- bzw. Vergesellschaftungsweisen.

Fetzer meint  nun aber, die Entwicklung eines neuen  Produktivitätstyps entdeckt zu haben, der „nicht nur die Produktivität der lebendigen und vergegenständlichten Arbeit beinhaltet, sondern auch die Ressourcenproduktivität als Ausdruck des Naturanteils“ für deren Verständnis sich der Begriff „ökologische Revolution“ anbietet.

[Es ] entstehen gegenwärtig Produktivkräfte, die nicht einseitig auf Arbeitsersparnis gerichtet sind, sondern auch auf Naturerhaltung. So beginnt der Übergang von der fossilen und atomaren zur regenerativen Energie. In der Industrie gewinnen ressourcensparende gegenüber naturzerstörerischen Technologien an Boden. In der Landwirtschaft verschärft sich die Auseinandersetzung zwischen dem Agrarkapital, das mit Monokultur die Bodenfruchtbarkeit zerstört, und den Kleinbauern, die traditionell naturnahe Landwirtschaft betreiben. Die auf Naturerhaltung gerichtete Grundtendenz dieser neuen Produktivkräfte lässt den Schluss zu, dass es sich um eine Produktivkraftrevolution handelt, die einen neuen Produktivitätstyp verkörpert, der nicht nur die Produktivität der lebendigen und vergegenständlichten Arbeit beinhaltet, sondern auch die Ressourcenproduktivität als Ausdruck des Naturanteils. Für diese neue Qualität der Produktivkräfte bietet sich der Begriff Ökologische Revolution an, der das Wesen der für die weitere Existenz der Menschheit notwendigen Veränderung ihres Verhältnisses zur Natur präzise widerspiegelt.

Allerdings folgt auch die nun – vielleicht – vermehrt in den Blick kommende Notwendigkeit zur Steigerung von Ressourceneffektivität bzw. zum Schutz vor Übernutzung natürlicher Ressourcen immer auch der kapitalistischen Nötigung zur Einsparung von Arbeitszeit ohne die sich Ressorchenproduktivität nicht rechnet und folglich nicht durchsetzt.  Auch die kapitalistische Sorge um den Erhalt physischer Voraussetzung des Plusmachens, ist nicht neu. Schon 1713 formuliert der Oberberghauptmann am kursächsischen Hof in Freiberg Hans Carl von Carlowitz Grundsätze des nachhaltigen Holzeinschlages, die dafür sorgen sollten, dass dauerhaft ausreichende Holzmengen für den Bau von Silberminen zur Verfügung stehen. Es sollten nicht mehr Bäume geschlagen werden, als nachwachsen können.  Auch die in Marx „Kapital“ beschriebenen Fabrikgesetzgebungen folgten bereits der Notwendigkeit, den Raubbau an der menschlichen Arbeitskraft mit Staatshilfe in den Grenzen des nationalökonomisch Rationalen zu halten und für alle ruinöse Wettbewerbsbedingungen zu verhindern.

Ohne Zweifel gerät die Notwendigkeit zum Erhalt natürlicher Ressourcen zunehmend auch als (trans-) nationalökonomisch zu lösende Aufgabe in den Blick. Doch die Benamsung der Hinter- bzw. Beweggründe dazu als zur „ökologischen Revolution“ drängenden „neuen Produktivkräfte“ bremst das Verständnis dieser Erscheinungen als Elemente menschlicher Emanzipation eher aus. Entwickelt (und in gewissem Umfang verallgemeinert bzw. globalisiert) hat sich in Wechselwirkung das geistige Potenzial der Menschen (ihr Wissen und Wollen) in Richtung ökologisch reflektierender Mitmenschlichkeit und das dazu entwickelte und eingesetzte techlologische Protenzials das beides – hier und da – mit der kapitalistischen Nötigung zur Arbeitszeitersparnis um jeden sozialen bzw. ökologischen Preis in Konflikt gerät und folglich nach Überwindung der kapitalistischen Nötigung zur Übernutzung trachten lassen könnte. Fetzer lokalisiert dieses Potenzial (als öko-revolutionäre Subjektivität) im Kleinbauerntum und der dezentrale Alternativ-Energie produzierenden Unternehmen (und deren Kunden bzw. Verbraucher des von ihnen umweltfreundlich Geschaffenen). Diese Ortung des „öko-revolutionären Potenzials“  und deren Benamsung als „neue Produktivkräfte“ (Vorname) bzw. „ökologische Revolution“ (Nachname)  zeigt m.E. den Nachteil eines all zu positivistischen Materialismus, der stets nach Vertretung oder „naturalistischer Spiegelung“ bereits bestehender (materieller) Interessen trachtet. Es käme aber darauf an, die bestehenden Interessenslagen (inklusive derer, die richtiges Streben im falschen Leben ermöglichen), in eine (durchaus idealistisch, d.h. öko-humanistisch) bestimmte Weise zu verändern.

Das würde auch vor einer Idealisierung des Kleinbauerntums sowie der regenarative Nutzenergie produzierenden Wirtschaftssubjekte (und derer, die deren Produkte konsumieren), entgegen wirken. Dazu spätter mehr. Zunächst einige Überlegungen zum sehr reduktionistisch gedeuteten Begriff der „Produktivkräfte“ :

Es scheint an der Zeit, die Vielzahl verschiedener Produktivkräfte und die Weise wie diese möglicherweise in Konflikt zu den Bedingungen ihrer Anwendung (oder auch Entwicklung) geraten (oder auch nicht geraten), in Hinblick auf  eine öko-humanistisch/kommunistische Perspektive zu reflektieren.

Zunächst könnten prinzipiell zwei Klassen Produktivkräfte unterschieden werden. Zum einen haben wir es mit gegenständlichem (außerhalb menschlicher Körper vergegenständlichtem) Potenzial (Technik, Infrastruktur) und zum anderen mit geistigem (bzw. im Menschen verinnerlichten) Herstellungsvermögen zu tun (eigenes Wissen, Können, Wollen)  Beides kann – jeweils – in verschiedener Weise in Widerspruch zu den Bedingungen bzw. Auswirkungen ihrer Anwendung oder Entwicklung (also den Produktionsverhältnissen) geraten. Technische Neuerungen können ganze Berufssparten und Branchen absterben lassen, verändern Kräfteverhältnisse innerhalb oder auch zwischen den Volkswirtschaften. Schaffen gegebenfalls die Basis für neue Berufe, Bildungswege oder Freizeitvergnügungen oder auch für mehr Erfahrung und deren Reflektion. Werden also zur Basis neuer geistiger Fähigkeiten nicht allein  zur Herstellung eines größeren Nutzens (oder Schadens!), sondern gegebenenfalls auch zur verbesserten Kalkulation von Risiken und Beurteilung und Vermeidung von Schäden.  Das gewonnene geistige Potenzial vermehrt technisches Vermögen zur Ausbeutung von Naturressourcen – oder wirkt dem Raubbau entgegen. Alle geistigen und gegenständlichen Produktivkräfte sind – in bestimmtert Hinsicht – auch Destruktivkräfte. Gegenstädliches oder auch geistiges Herstellungsvermögen gerät entweder als Destruktivkraft oder auch als nicht zum Zuge kommendes Bereicherungspotenzial in Konflikt mit den bestehenden Anwendungsbedingungen bzw. Produktionsverhältnissen.

Das alles gilt es systematisch durchzudeklinieren und die konkreten Ansatzpunkte für Bewegung heraus zu arbeiten, die in Richtung mitmenschlicher bzw. umweltbewusster Abstimmung bzw. Entwicklung der technischen wie auch der geistigen Bereicherungsmittel gehen.

Neue Fetischbegriffe zu kreieren, denen dann „revolutionäres Potenzial“ zugeschrieben wird, führt eher weg von dieser Aufgabe. Es gilt festzuhalten, dass gegenständliches wie geistiges, eigenes wie fremdes Bereicherungsvermögen die Fähigkeit einschließen kann, Ressourcen zu schonen bzw. Ausbeutung abzumildern oder zu vermeiden. Und es  gilt, herauszufinden, wo und wie genau diese Fähigkeiten in Konflikt mit den Produktionsverhältnissen, also den gegenwärtigen oder zu erwartenden Bedingungen der Anwendung dieser Fähigkeiten geraten.  Und wie sich diese Konflikte emanzipativ auflösen könnten.  In wie weit Dezentralität und Kleinheit der privaten (z.B. bäuerlichen) Produktivvermögen zur Entfaltung ökologisch refektierter Bereicherungsvermögen beiträgt oder nicht, muss aber immer wieder aufs Neue erkundet werden. Dogmatismus wäre da ganz falsch am Platze.

„Die Ökologische Revolution schafft in den einzelnen Wirtschaftsbereichen in unterschiedlicher Weise die materiellen Voraussetzungen für die Überwindung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse. In der Energiewirtschaft wird es durch den Übergang vom fossil-atomaren zum regenerativen Energiesystem möglich, das bisher zentralistische Energieregime durch eine dezentrale Energieversorgung zu ersetzen. Da die Erzeuger von regenerativer Energie nicht mehr von der Lieferung fossiler Energieträger abhängen, deren Lagerstätten nur an einigen Stellen des Erdkörpers vorhanden sind, haben sie die Chance, sich aus der Abhängigkeit von den Energiekonzernen zu lösen, den genossenschaftlichen Weg zu beschreiten oder kommunales Eigentum zu schaffen bzw. wiederherzustellen.“

Es mag sein, dass die mit einem Siegeszug der Erneuerbaren entfallende Notwendigkeit, Kohle und Uranvorkommen auszubeuten und in riesigen Fabriken in Nutzenergie zu verwandeln, der Entwicklung kommunaler oder genossenschaftlicher Wirtschaftssubjekte förderlich ist. Es sollte aber bedacht sein, dass der Anlagenbau, die Verteilung und letztlich auch die Entwicklung und der Einsatz der Mittel zur Nutzenergieerzeugung selbst wiederum Konkurrenzverhältnissen unterliegen die zu Konzentrationsprozessen in wenige private Bestimmer nötigen. Abgesehen davon birgt eine Fetischisierung eines von „der ökologischen Revolution“ angetriebenen „Kleinen“ und „Dezentralen“ die Gefahr, gerade die Entwicklung des Mitmenschlichen aus dem Auge zu verlieren also der Fähigkeit, die Vor- und Nachteile bzw.  Zukunftsträchtigkeit etwa auch von Großprojekten wie das Desertech Projekt abzuschätzen und zu sehen, wie darüber eine hinreichende soziale Kontrolle hergestellt werden kann.

„In der industriellen Produktion außerhalb der Energiewirtschaft wird die Ökologische Revolution längere Zeit im Einklang mit den kapitalistischen Produktionsverhältnissen bleiben, weil dieselben Kapitalisten, die bisher naturzerstörerische Technologien anwendeten, jetzt zu ressourcenschonenden Technologien übergehen, um Kosten zu sparen. Die Industrie als Kernbereich kapitalistischer Ökonomie erweckt damit den Eindruck des Hineinwachsens in einen grünen Kapitalismus, der den Sünden des bisherigen Kapitalismus gegenüber der Natur abschwört. Dieser Anschein trügt, wie die Analyse der Industrieproduktion entwickelter kapitalistischer Volkswirtschaften zeigt. Die Naturzerstörung geht trotz sich erhöhender Ressourcenproduktivität weiter. Die Ursache ist das kapital-getriebene Produktionswachstum, das den positiven Effekt erhöhter Ressoucenproduktivität für die Natur zunichte macht. Tendenziell treibt die kapitalistische Industrie auf einen Punkt zu, wo die Natur nicht mehr in der Lage ist, der Produktion die Gegenstände zu liefern und deren Abfälle aufzunehmen. Spätestens dann wird die Menschheit die kapitalistische Produktions- und Lebensweise hinter sich lassen müssen, um zu überleben.“

Richtige und wichtige Erkenntnisse wie die eines der freien Konkurrenz eigenen Zwangs zum Wachstum bzw. zur Beschleunigung um jeden sozialen bzw. ökologischen Preis und auch die Möglichkeit globaler Katastrophen verschwimmen mit der Substantivierung der Zwangsverhältnisse. Wer sich die als ein die Menschen fies manipulierendes Subjekt vorstellt, braucht die konkreten Wirkungsmechanismen nicht mehr zu kennen. Es reicht offenbar, gegen das die Menschen manipulierende Böse zu sein.  Und wer von „der“ (weiter gehenden) Naturzerstörung spricht und von „einem Punkt“ an dem sich „die“ Natur nicht mehr regenerieren kann, verlässt Zeit und Raum und damit die Möglichkeit der Wahrnehmung der hier und dort längst geschehenen Zerstörung bzw. Verlust an Regenerationsfähigkeit.  All die Besorgnis erregenden ökologischen Herausforderungen wie der Klimawandel, Überfischung, Verlust der Bodenfruchtbarkeit oder von Biodiversität bewegen sich – leider – keineswegs auf einen Punkt zu, an dem die Menschen die kapitalistische Produktionsweise hinter sich lassen müssen.  Das müsste sie längst.  Leider steigern vermehrte Probleme das entsprechende Umwälzungskönnen und -wollen nicht.  Für deren Entwicklung darf nicht auf ein sich „materialistisch“ ergebenden Punkt gewartet werden, es muss vielmehr aufgezeigt werden (können), welche Probleme (in welchen Zeiträumen) ökonomische Behauptungsbedingungen und von diesen bestimmte Rechtfertigungsbeziehungen erforderlich machen, die die Menschen in die Lage verstetzen, sich gegenseitig zu nötigen, für die (weltweiten) Voraussetzungen und Wirkungen ihres Tuns gerade zu stehen.

One Response to Bei der Betrachtung von Widersprüchen zwischen den Potenzialen menschlicher Schaffenskraft und den Möglichkeiten ihrer Anwendung sollte Schematismus vermieden werden (Stand: 14.9.10)

  1. […] In Arbeits ist eine Auseinandersetzung zum Komplex „Widersprüche zwischen Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse“ […]

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