Zur diesjähigen Marx-Herbstschule (der 7.) konnte ich leider nicht. Es beilbt die Möglichkeit, mir das eine oder andere nachträglich zu erschließen.
Auf der einschlägen Website der Rosa Luxemburg Stiftung lassen sich ein Video der Abendverstanaltung betrachten
Bevor ich mir die Sachen ansehe bzw. anhöre zunächst ein Versuch, die eigenen Gedanken zu sortieren.
Die in Marx Kapital behandelten Klassen sind die zwei ökonomischen Kapitalklassen, die die Gesellschaften in denen kapitalistische Produktionsweise herrscht, von Grund auf strukturieren. Kapital ist hier verstanden als private Verfügungsmacht über das Vermögen zur Her- und Bereitstellung von Waren, d.h. derjenigen Mittel der menschlichen Existenzsicherung und Bereicherung, die im Wettbewerb mit anderen Warenanbietern im Tausch gegen die universelle Warentauschware Geld veräußert bzw. angeeignet werden. Das private Aneignungs- und Veräußerungsvermögen kapitalistisch vergesellschafteter Wirtschaftssubjekte teilt sich bzw. die sie repräsentierenden Wirtschaftssubjekte grundsätzlich zwei verschiedene Klassen Privatvermögen:
- Das klassenspezifische Vermögen (und die klassenspezifische Notwendigkeit) über die Nutzung von Arbeitsprodukten und Naturreichtümern entscheiden zu können, die außerhalb des eigenen Körpers (einschließlich Kopf) als Produktionsmittel funktionieren, oder genauer, als Mittel der Produktion von als Waren funktionierende Gütern und Dienste, die sich in Konkurrenz zu den Produkten anderer Warenanbieter*innen gegen das allgemeine Warenaneignungsmittel Geld eintauschen lassen. Diese Klasse kapitalistischen Aneignungsvermögens wird zum klassenspezifischen Bereicherngsvermögen, indem es zur Anmietung von lebendiger menschlicher Arbeitskraft derer ermächtigt, die über keine eigenen Produktionsmittel dieser Kategorie verfügen und deren Gebrauchswert es ist, sie Gebrauchswerte in der Form nachgefragter Güter und Dienste erzeugen zu lassen, deren Veräußerung gegen die allgemeine Warenaneignungsware Geld mehr Geld einbringt, als am Beginn des Produktionsprozesses zu investieren war. Damit können die Agenten der außerkörperlichen Klasse kapitalistischen Aneignungsvermögen nicht nur in der Regel ein etwas besseres Konsumtionsniveau realisieren. Am Ende steht ein Zugewinn an klassenspezifischem Vermögen, über die Nutzung der als Bereicherungsvermögen funktionierenden (außerkörperlichen bzw. außermenschlichen) Klasse Produktionsmittel.
- Das klassenspezifische Vermögen (aber auch die klassenspezifische Notwendigkeit) derjenigen Individuen, die außerhalb der im eigenen Körper (einschließlich des eigenen Kopfes) gebildeten Arbeitsmittel über kein Privateigentum an Produktionsmitteln verfügen, die eigene Arbeitskraft an die Agenten der als kapitalistisches Bereicherungsvermögens funktionierenden Klasse Produktionsvermögen zu vermieten. Die Arbeitskraft kann nur als Mietsache derjenigen produktiv werden, die über die Nutzung der (von ihnen getrennten, außerhalb ihrer Verfügungsmacht liegenden) Produktionsmittel bestimmen und die ihrerseits ohne der Anmietung lebendigen Arbeitsvermögens nichts produzieren könnten. Das (private) Aneignungsvermögen der eigenen Arbeitskraft besteht für die Individuen dieser subalternen Klasse kapitalistischen Produktiv- bzw. Aneignungsvermögens in der Möglichkeit, durch die Vermietung des eigenen Arbeitsvermögens Geld zu erwerben, mit dem sie die für die eigene (klassen-) spezifische Existenzsicherung notwendigen Dienste und Güter bezahlen können.
Kapital als soziales Verhältnis zweier Klassen privates Aneignungsvermögen
Allein die privateigentümliche Verfügung über außerhalb der menschlichen Individuen vergegenständlichter Produktionsmittel macht daraus also noch kein Kapital. Um als solches zu funktionieren muss lebendige Arbeitskraft angemietet werden, die die Produktionsmittel bedienen, produzieren, erfinden, pflegen usw. Deshalb spricht man vom Kapital als ein soziales Verhältnis. Es ist das Verhältnis zwischen Funktionären der beiden Klassen kapitalistischen Produktions- bzw. Aneignungsvermögen, d.h. zwischen denen, die relativ exklusiv über das außerhalb der Individuen vergegenständlichte Produktivvermögen (das konstante Kapital) verfügen und denen, die darauf angewiesen sind, die im eigenen Körper gebildete Klasse Produktiv- bzw. Aneignungsvermögen an die Vermögenden der ersten Klasse zu vermieten. Man kann ebenso vom Verhältnis zweier Klassen kapitalistischen Aneignungsvermögens sprechen.
Die zugleich logisch und historische Voraussetzung ist einerseits die Freiheit einer hinreichenden Anzahl Individuen, über das im eigenen Körper (einschließlich des Kopfes) gebildete Produktivvermögen in dem Sinne frei verfügen zu können, dass sie nicht als Sklaven oder Leibeigene Eigentum anderer Personen oder Institutionen sind. Sie müssen außerdem – zumindest in einem bestimmten Umfang – von häuslicher oder landwirtschaftlich/gärtnerische Eigenproduktion befreit sein. Zugleich müssen die betreffenden Individuen weitgehend frei von außerhalb des eigenen Körpers vergegenständlichte Produktionsmittel sein, was die existenzielle Notwendigkeit bedingt, das eigene Arbeitsvermögen als eine Ware anzubieten.
Das eigene Aneignungsvermögen in der Gestalt von „Arbeitskaft“ wird durch den Akt der Vermietung in privates Aneignungsvermögen in Gestalt von Geldbesitz (Lohn und Gehalt bzw. Haushaltskasse) eingetauscht. Für diese Klasse privaten Aneignungsvermögens ist das Eigentum an Produktiv- bzw. Aneignungsvermögen (in seinen beiden Gestalten) insoweit kein Bereicherungsvermögen. In der Regel taugt es lediglich dafür, die Gebrauchsgegenstände und Dienste einzukaufen, die als Mittel der eigenen Existenzsicherung als Mensch (Familie, Versorgungsgemeinschaft usw.) benötigt werden. Geben die Eigentümer ihrer eigenen Arbeitskraft das für die Vermietung ihrer Ware erhaltene Geld aus und verkonsumieren die dafür erworbenen Gebrauchswerte, reproduzieren sie zugleich ihre eigene Bedürftigkeit, die Notwendigkeit zur Vermietung ihres Arbeitsvermögens für fremde Zwecke und damit das Verhältnis der beiden Klassen Produktiv- bzw. Aneignungsvermögen zueinander und die eigene „Rolle“ darin.
Ist das Eigentum am eigenen Arbeitsvermögen also nur ein Mittel der Existenzsicherung und keines der Bereicherung?
Die lediglich in den Individuen selbst verkörperte Klasse Produktivvermögen wird auch zum Bereicherungsvermögen, allerdings zum Bereicherungsvermögen derjenigen Klasse Aneingungsvermögender, die über die Nutzung der außerhalb der menschlichen Individuen vergegenständlichten Produktionsmittel verfügen. Nur sie sind die in der Lage, den Gebrauchswert der ihnen per Miet- bzw. Arbeitsvertrag zur Verfügung gestellten Ware (Arbeitskraft) wertproduktiv, d.h. tauschwertvermehrend zu verkonsumieren. Der Gebrauchswert der von ihnen vermittels eines Arbeitsvertrages bzw. tatsächlichen Beschäftigung angeeigneten Ware „Arbeitskraft“ ist, für die andere Klasse kapitalistischen Aneignungsvermögens ihrerseits Gebrauchswerte zu produzieren, d.h. Dienste und Güter, von deren Aneignung sich deren Käufer einen Nutzen versprechen und sie deshalb gegen Geld tauschen. Für die Klasse der außerhalb der Individuen existierenden Aneignungsvermögen werden die zum Verkauf stehenden Waren so zum Mittel der Aneignung der universellen Warenaneignungswares Geld. Wie erwähnt dient das nicht nur der per Luxuskonsum erweiterten Existenzsicherung ihrer Funktionäre, sondern auch zur Erneuerung und Erweiterung der außerhalb der Individuen angesiedelten Klasse kapitalistischen Aneignungsvermögens. Auch von deren Warte aus betrachtet gilt: nach Ende des Prozesses, hier der tausch- und gebrauchswertsteigernden Verkonsumierung der Arbeitskraft, ist auch das Kapitalverhältnis, d.h. das Verhältnis der beiden Kapitalklassen zueinander wiederhergestellt, denn wenn keine neue Arbeitskraft angemietet würde, verlöre die Verfügung über die von den Individuen getrennten Produktionsmittel ihren klassenspezifischen Gebrauchswert und die entsprechenden Unternehmen könnten nicht mehr existieren..
Kampf um die (Mehr-) Wert-Aneignung
Entlang dieser beiden Klassen privates Produktions- und Aneignungsvermögen oder anders gesagt, dieser beiden Klassen kapitalistischen Privateigentums, formieren sich klassenspezifische Privatinteressen mit jeweils eigentümlichen Möglichkeiten und Grenzen, sie zu formulieren und zur Geltung zu bringen. Die Akteure leben in ihren klassenspezifischen Behauptungs- und Rechtefertigungszusammenhängen -mustern und -funktionen. Sie haben verschieden Anteil an der Warenproduktion, deren Zweck- und Mittelbestimmung, Gewinn bzw. Nutzen und der dafür in Kauf zu nehmenden Nachteile.
Zentral ist dabei die klassenspezifische Aufteilung der Verfügung über den im kapitalistischen Produktionsprozess (unter Konkurrenzbedingungen) produzierten Durchschnitt der Warentauschwerte, um den herum die Preise einzelner Waren notwendigerweise oszillieren während sie ihn zugleich ermitteln. Indem die angemieteten Arbeitskräfte die Produktionsmittel ihrer „Arbeitgeber“ in Gang setzen und deren Rohstoffe- und Halbprodukte in Gebrauchswerte nachgefragte Waren verwandeln, produzieren sie zugleich die klassenspezifischen Möglichkeit der Unternehmenseigner, das Erarbeitete gegen Geld zu veräußern sprich, sich dafür das allgemeine Aneignungs- bzw. Bereicherungsmittel Geld anzueignen. Dass dabei am Ende stets mehr Geld (klassenspezifisch) angeeignet werden kann als vorher in Produktionsmittel, Infrastruktur, Arbeitskraft usw. investiert wurde, ist bekanntlich der alles entscheidende Antrieb jeder kapitalistischen Produktion.
Die im kapitalistischen Produktionsprozess wiederhergestellten und neu hinzugefügten gesellschaftlichen Warentauschwerte erwachsen allerdings nicht dem (re-) produzierten Gebrauchswert als solchem. Der ökonomische Wert ist auch nicht mit ethischen Werten zu verwechseln. Noch so viel Wertschätzung für eine „Marke“ könnte deren Preisverfall nicht verhindern, sobald zuerst einzelne Konkurrent*innen und am Ende ein bedeutender Teil der gesamten Branche den gleichen Gebrauchswert oder die gleiche Erwartung eines Gebrauchswertes (von gleicher Qualität) billiger anbieten kann. Und dies geschieht, wenn sie ihren individuellen Produktionsprozess stärker als die anderen effektiveren konnten, sei es durch – im Verhältnis zur Konkurrenz – effizienter arbeitende oder billiger zu habende Produktionsmittel oder Produktionsverfahren, sei es durch geringere Lohnkosten oder bessere Möglichkeiten Betriebskosten für die Gewährleistung von Umweltschutz oder anderen sozialen Standards zu vermeiden.
Das ist so weil die Konkurrenz ums günstigste Angebot dafür sorgt, dass sich die Bildung eines gesellschaftlichen Warentauschwertdurchschnitts letztlich aus der Arbeitszeit ergibt, die zur (Wieder-) Herstellung eines nachgefragten Gebrauchswertes bzw. Gebrauchswertträgers im gesellschaftlichen Durchschnitt zu verausgaben ist (einschließlich des notwendigen Anteils der in den Produktionsmitteln, Rohstoffen, Vorprodukten usw. bereits vergegensändlicht war). Der zwischen den beiden Klassen kapitalistischen Aneignungsvermögen zu verteilende gesellschaftliche Durchschnitt an Warentauschwerten ist im Grunde nichts anderes als der Anteil der menschlichen Arbeitszeit, der für die Bedürfnisse der einen oder der anderen Klasse Aneignungsvermögen verausgabt wird. Den nicht zur (Re-) Produktion und dem notwendigen Vergnügen der menschlichen Arbeitskraft dienenden Anteil am gesellschaftlichen Gesamtwarentauschwert nennt Marx Mehrwert.
Probleme einer moralistischen Ausbeutungskritik
Als kritische Kategorie zur Anklage von Ausbeutung bzw. der Ausbeutungsrate taugt die Mehrwertrate allerdings nur sehr begrenzt. Zwar kann mühelos nachgewiesen werden, dass mittels Äquivalententausch zu einem ganz und gar gerechten Preis angeeignete Arbeitskraft notwendigerweise mehr Wert produziert als sie selbst gekostet hat, und dass die private Aneignung dieses Mehrwerts in einer systematischen Weise Klassen und problematische Ungleichheiten zwischen ihnen produziert wie Thomas Pekkety in seinem Werk Das Kapital im 21 Jahrhundert zuletzt gezeigt hat. Aber wie viel menschliche Arbeitszeit nun zur Befriedigung der Konsumbedürfnisse lediglich Arbeitsvermögender, wie viel für den gehobenen Aneignungsbedarf der Unternehmenseigner bzw. Unternehmensgewinnaneigner und wie viel für die Erneuerung und Erweiterung von deren Produktionsmittel zu arbeiten ist, ist nur äußerst grob zu bestimmen und sagt über die historische Rationalität bzw. Überholtheit des kapitalistischen Systems der privaten Aneignung gesellschaftlicher Arbeit durch miteinander um Kundschaft werbende Bereicherungsagenturen noch nicht viel aus.
Wie teilt sich zum Beispiel die für staatliche Funktionen geleistete Arbeitszeit auf? Vielleicht sind die Vor- und Nachteile von Staatsverschuldung klassenspezifisch verteilt. Aber wie? Ist die nicht als Gelderwerbsarbeit absolvierte Arbeitszeit im eigenen Haushalt der lohn- und gehaltsabhängigen Klasse Aneignungsvermögender eine Dienstleistung zur Befriedigung deren eigene Bedürfnisse und mindert damit die soziale Ausbeutungsrate mehr als die nur ökonomische Betrachtung der Tauschwertrelationen verrät?
Oder ist diese Arbeit wie oft von feministischer Seite bzw. von Seiten „der Herrschaftskritik“ betont wird, umgekehrt eine unsichtbare Dienstleistung für das Kapital und deren System? Dann dient allerdings alle zugunsten der (Wieder-) Herstellung von Arbeitsvermögen verausgabte Arbeitszeit nur der kapitalistischen Ausbeutung und Unterdrückung einschließlich der Arbeitszeit, die entgeltlich für die der Arbeitskraftproduktion und -reproduktion dienlichen Produktion von Lebensmitteln, Kunst und Kultur usw. geleistet werden muss. Und dagegen ließe sich wiederum kapitalismusaffirmativ spotten, dass alle Arbeitszeit, die oberflächlich gesehen nur der Existenzsicherung und Bereicherung der Klasse des außermenschlichen Produktivvermögens dient, letztlich auch der Befriedigung immer anspruchsvollerer Konsumbedürfnisse derer dient, deren Lohn- und Gehaltsabhängigkeit ein ebenso unschlagbarer Anreiz sei, sich bei der Produktion all dieser schönen Dinge ins Zeug zu legen wie auf der anderer Seite des Kapitalverhältnisses die Konkurrenz ums günstigste Angebot.
Eine pauschale Verdammung des Ganzen als „die Herrschaft“ hilft aber genausowenig weiter wie deren Verklärung als Leistungs- und Wohlstandsgesellschaft. Die historische Notwendigkeit und vor allem auch Möglichkeit umfassender Strukturveränderungen, die auf die Aufhebung gegensätzlicher Klassen privateigentümlicher Aneignungsvermögen zielen, entstehen nicht auf der Grundlage von moralischen Grundsätzen einer sich bereits außerhalb eines „falschen Lebens“ wähnenden Emanzipationsavantgarde. In hinreichender Breite und Tiefe kann die soziale Produktivkraft „Transformationsvermögen“ nur aus realen Widersprüchen innerhalb der gegebenen Verhältnisse erwachsen, und zwar vor allem aus ernsthaften Versuchen, die sich aus den gegebenen Abhängigkeiten, Zwängen, Isoliertheiten und Borniertheiten usw. ergebenen konkreten Problemen konkret anzugehen, d.h. in einer notwendig unvollkommenen, mit dem „falschen Leben“ (und Denken) vielfach behafteten Weise.
Marx ferne Anti-Kapitalist*innen sehen darin eine bekämpfenswerte Integration in das System der Herrschaft. Doch auch die vermeintliche Desintegration ist immer Teil des Ganzen und der in ihm wirkenden Kräfteverhältnisse. Das gilt auch für den Spott gegenüber „den Arbeiterbewegungsmarxismus“, der oft seitens derjenigen Marxist*innen vorgetragen wird, die sich der „Wertkriitik“ verschrieben haben. Solange die kapitalistische Art des füreinander Produzierens vorherrscht, wird den handelnden Subjekten (Individuen und deren Institutionen) die klassenspezifische Art ihrer Existenzsicherung und Bereicherung als eine von ihnen nicht wirklich beherrschte und letztlich auch unbeherrschbare Naturgewalt gegenüber treten. Der Klassenkampf für oder gegen höhere Löhne, Arbeitszeitverkürzung, bessere soziale Absicherung, Erholungsbedingungen, Bildung, ein würdiges Leben im Alter usw. ist eine Natureigenschaft des Kapitalismus. Sie durchwirkt alle gesellschaftlichen Interaktionsfelder und insbesondere die politische Sphäre in der über gesetzliche Rahmenbedingungen, über die Bedeutung öffentlicher Güter usw. entschieden wird.
Einheit der Gegensätze Klassenkampf und Emanzipation
Obwohl die Interessensgegensätze stets antagonostisch sind in dem Sinne, dass sie im Rahmen der gegebenen (kapitalistischen) Ordnung nicht zum Verschwinden gebracht werden können, erzwingen die Verhältnisse doch stets Klassenkompromisse, die einem für beide Seiten unfruchtbaren Bürgerkrieg vorbeugen. Abgesehen von – allerdings oft sehr brutalen und weitreichenden – Ausnahmen müssen bzw. können die beiden kapitatistischen Privateigentumsklassen entsprechend zivil agieren.
Der Klassenkampf derer, die auf die Vermietung ihrer Arbeitskraft für fremde Zwecke angewiesen sind drängt zwar nicht notwendigerweise zur Emanzipation aus der sozio-kuluturellen oder auch sozio-ökologischen Borniertheit der lohn- und gehaltsabhängigen Segmentierung. Erfolge und Misserfolge der subalternen Kapitalklasse in ihrem Kampf um deren jeweiligen Anteile an der Kaufkraft kann Motivation und Vermögen zum neugierigen Blick über die kapitalistischen (Re-) Produktionszwänge hinaus befördern als auch hemmen. Allerdings sind Emanzipationsfortschritte im Rahmen des kapitalistisch Möglichen bzw. Gebotenen (allgemeines Wahlrecht, mehr Wohlstand, Bildung, Fortschritte in Richtung Gleichstellung von Bevölkerungsgruppen, ökologische Modernisierung usw. usf.) notwendige Voraussetzungen der Entwicklung weitergehender Perspektiven.
Ohne die weitergehende Perspektive der (weltkommunisstischen) Aufhebung der gegebenen Produktionsregeln können weder die Notwendigkeit des Kampfes um den klassenspezifischen Anteil an der gesellschaftlichen Tauschwertproduktion noch die darin eingeschlossenen Mängel an sozio-ökologisch vernünftige Perspektiven, an Fähigkeit zur angemessenen Wahrnehmung globaler Verantwortung usw. überwunden werden.
Diejenigen, die außer das eigene Arbeitsvermögen keine eigenen Produktionsmittel besitzten, können ihr Erwerbsabhängigendasein in der Regel nur erträglicher gestalten. Das ist einerseits der Job ihrer Gewerkschaften. Aber es gibt auch andere Quellen der Verallgemeinerung gesellschaftlichen Wohlstands. So sind die einzelnen Unternehmen per Konkurrenzdruck zur Reduktion von Arbeitszeit pro nachgefragtem Gebrauchswert bzw. Gebrauchswerterwartung genötigt, das heißt zur Steigerung der Produktivität ihrer individuellen Produktion. Die allmähliche Verallgemeinerung einzelner Produktivitätsfortschritte verringert letztlich die Arbeitszeit, die für den Warenkonsum der Arbeitssvermögenden zu leisten ist und entwertet (also vergrößert) daher den Warenkorp. Obwohl die Menge und Qualität dessen, was dabei erarbeitet wurde gleich bleibt oder sogar sogar steigt, steigert dieser Effekt die allgemeinen Mehrwertrate bzw. den relativen Mehrwert. Deshalb bringt Kapitalismus seiner Natur gemäß auch Tendenzen zur Verallgemeinerung von Fortschritt und Wohlstand hervor und keineswegs nur Verelendung.
Dennoch sind Elend und Kapitalismus nicht zu trennen. Elend entwickelt sich in der Regel, wo moderne kapitalistische Verhältnisse im Entstehen begriffen sind. Das beginnt meist klassisch mit dem Verlust der ländlichen Existenz. Am Ende des ersten Band des KAPITALs im Kapitel über „die sogenannte ursprüngliche Akkumulation“ beschrieb Marx am Beispiel Englands die historischen Prozesse deren Ergebnisse die spezifisch kapitalistische Trennung des individuellen Arbeitsvermögens von den ländlichen Produktionsmitteln waren. Im damaligen Kernland des sich entwickelnden Kapitalismus war es vor allem die Kombination der entstehenden Textilindustrie mit einer sich epedemisch ausbreitenden Schafzucht, die die Trennung des Arbeitsvermögens von ihren ländlischen Existenzbedingungen schaffte und die Elendsquartiere der wachsenden Städte füllte.
Bei heutigen Prozessen dieser Art kommt hinzu, dass sich vorindustriell oder mit geringererm Technisierungsgrad betriebene landwirtschaftliche Produktion selbst in Konkurrenz zur hochtechnisierten bzw. -kapitalisierten Agroindustrie in – in diesen Hinsichten – entwickelteren Regionen des In- und Auslands zu behauptet hat. Ländliche Armut herrscht und Hunger entwickelt sich mit der kapitalistischen Welt, wo die traditionellen Zielgruppen des landwirtschaftlichen Mehrproduktes aus der Region nun Zugang zu den sehr viel billiger zu habenden Produkten der Agroindustrie aus aller Welt bekommen.
Elend, Reichtum, Globalisierung
Ein Übriges erledigt die bereits im Zeitalter des Kolonialismus gelegte und bis heute mehr oder weniger erhaltene Struktur der globalen Arbeitsteilung zwischen Bergbau und landwirtschaftlichen Produkten oder Rohprodukten auf der einen und industriell gefertigter Güter auf der anderen Seite. Heute wirkt diese Struktur unter anderem als mächtiger Nachfragesog aus kaufkräftigeren Weltregionen mit entwickelteren Kapitalverhältnissen. Das schafft zwar auch für die Regionen des sich erst etablierenden bzw. nachholenden Kapitalismus Absatzmärkte und entsprechende Möglichkeiten der Akkumulation von Kapital als strukturelle Voraussetzung der eigenen Indistrialisierung. Mit dem Konzentrations-, Organisations- und Technisierungsgrad des globalisierten Agrarhandels und der Kaufkraft in den Regionen mit fortgeschrittenem Kapitalismus, wächst aber auch die Macht der den Welthandel kontrollieren Konzerme und die Konkurrenz unter denen, die darauf angewiesen sind, ihnen ihre klassischen „Kolonialwaren“ anzubieten.
Weltbankkredite für die Modernisierung derjenigen Ökonomien, die notgedrungen auf den Export agraischer oder forstwirtschaftlicher Produkte oder von Bergbauprodukten setzen, halfen (helfen) zwar, deren Arbeitsproduktivität und dadurch die Menge an exportierten Gütern zu steigern. Doch da das für alle Akteure in dieser Lage als der Königsweg der Entwicklung galt (gilt) steigert die verbesserte Konkurrenzfähigkeit der Einzelnen nur die – am Ende ruinöse – Konkurrenz untereinander. Die Modernisierungshilfen zielen nicht auf mehr Ernährungssouveränität und Entwicklung neuer Möglichkeiten der regionalen Existenzsicherung und Bereicherung sondern auf die Ereiterung und Verbilligung der Exporte in die an Kaufkraft starken Regionen. Da die im Gegenzug von dort zu importierenden Industriegüter von stets höherer Qualität sein müssen, in den Regionen mit relativ breiterem Wohlstand die Produktion einem größeren Zwang zur Mitfinanzierung staatlicher Aufgaben unterliegt und anders mehr deren Preisverfall bremsen, verschlechtern sich die Terms of Trade. Trotz Produktivitätsfortschritten ist für das gleiche Geld statt weniger immer mehr Arbeit zu leisten bzw. Ernteerträge usw. zu realisieren.
Bekanntlich setzen die neoliberalen Konzepte gegen daraus naturgemäß folgende Schwierigkeiten zur Bedienung des Schuldendienstes ein ums andere Mal auf eine noch stärkere Exportorientierung, das heißt auf eine noch effizientere Bedienung der Märkte nachfragestarker Regionen. Bestandteil dieses Konzeptes stets: Staatliche Sparprogramm sollen die gesellschaftlichenr Reproduktionskosten drücken, das heißt, Kosten für öffentliche Dienstleistungen und Infrastruktur einsparen.
Hunger und andere Formen des Elends begleiten diese Prozesse einerseits durch Verlust ländlicher Vergesellschaftungs- bzw. Reproduktionszusammenhänge oder -niveaus. Andererseits erlebt die von der bishergen Existenz freigesetzte und nun in die wachsenden Megastädte strömede Klasse Produktivkrafteigner Elend, weil auch die große Zahl Produktionsstätten, die nun vermehrt in die Regionen mit sich erst entwickelnden Kapitalverhältnissen wandern, die Überzahl der ihnen nun angebotenen Arbeitsvermögen nicht in hinreichender Zahl verwerten kann. So sehen sich die spätkapitalistisch Freigesetzten frühkapitalistisch anmutenden Arbeitsbedingungen gegenüber oder müssen sich notdürftig mittels informellen Tätgkeiten durchschlagen.
Die mit der regional ungleichen Entwicklung von Kapitalverhältnissen erlittenen oder genutzten Ausbeutungsbedingungen der internationalen Arbeitsteilung waren (btw. sind) auch in postkolonialen Zeiten nicht immer nur rein ökonomischer Natur. Immer wieder wurde und wird dabei auch nackte Gewalt zur „ökonomischen Potenz“, wie Marx es im Kapitel über die sogenannte ursprüngliche Akkumulation nannte. Die Liste der insbesondere von den Geheimdiensten und Wirtschaftseliten der USA zur Macht verholfenen Klassendiktaturen ist lang. In Brasilien, Iran, Irak, Indonesien, Chile, Argentinien, Honduras, Gueatemala usw. usf sorgten an die Macht geputschten Militärs, Herrscherfamilien oder Einpareien für „guten Investitutionsklima“. Ihre Mittel waren Mord, Folter und andere Mothoden der Einschüchterung, gewerkschaftkiche Aktivitäten wurden verboten. Das galt vor allem für die Zeit der „Systemkonferenz“. (Einen kleinen Überblick liefert über diese Phase (Siehe Werner Rügemeyer über die Wertegemeinschaft der lupenreinen Hurensöhne in der WELT vom 9.11.2013)
Auch wenn die Hochzeit der offen gewaltsamen Methoden zur Aufrechterhaltung ökonomischer Vorherrschaft vorerst vorbei zu sein scheint, so bedeutet die internationale Arbeitsteilung doch immer noch imperialistische Ausbeutung. Dass die auch quer zur Klassenteilung geschieht, ist unstrittig. Wo bereits mehr Finanzmacht etabliert ist und die Technologie fortgeschrittener, wo deshalb auch die Staaatsapparate üppiger genährt sind und eine höher entwickelte Infrastruktur erlauben (u.a. bessere Bildungs- Sozial- und Verkehrssysteme), kann produktiver gearbeitet, d.h. pro investierter Arbeitszeit mehr Waren erarbeitet und für deren Verkauf mehr kapialistisches Aneignungsvermögen in der Form von Geld, modernerer Produktionsmittel, Steuern und Sozialabgaben usw. akkumuliert werden. Wenn in der Theorie des kapitalistischen Warenverkehrs vom Tausch gleicher Arbeitsquanta ausgegangen wird, so sind gleiche Arbeitsproduktivität, gleiche Reproduktionekosten und anders mehr unterstellt.
Dass diese Voraussetzungen in der Praxis nicht gegeben sind (und die Theorie lediglich erklärt, wieso alles danach drängt), macht zwar einen Gutteil des kapitalistischen Fortschrittsautomatismus aus. nämlich den von der Konkurrenzsituation beflügelten Anreiz zur Einsparung von Arbeitszeit, also zu technologischem Fortschritt, rweiterung und Ausduifferenzierung des Warenangebots etc. Aber wo die freie Fluktation der Arbeitsvermögenden zwischen den verschiedenen Weltregionen unterbrochen ist und eine Angleichung der Unterschiede in den politischen, sozialen bzw. sozio-ökologschen Reproduktionsbedingungen gehemmt bleibt, verfestigt sich auch ein ungleicher Tausch von Arbeitsquanta.
Zwar schafften es in den letzten Jahrzehnten vermehrt sogenannte „Entwicklungsländer“ zu sogenannten „Schwellenländern“ und „neuen Global Playern“ aufzusteigen, aber nach wie vor stehen einem weltweiten Ausgleich der Produktions- bzw. Lebensbedingungen, von Entwicklungschancen usw. mächtige Regelkreise der globalen Ausbeutung im Weg. Nicht zuletzt deshalb können in den Regionen mit vergleichsweise entwickelterer Kapitalmacht auch die der subalternen Kapitalklasse angehörigen Akteure von der technologischen Entwicklung profitieren, auch selbst selbst mehr Kaufkraft entwickeln und damit auch selbst die „postkolonialistischen“ Früchte des ungleichen Tausches im Weltwarenverkehr genießen. Auch mehr Demokratie kann auf dieser ökonomischen Grundlage gewagt werden ohne dass die Gefahr bestünde, dass damit etwa kommunistische Flausen die Runde machen und Staatsmacht bekämen. Auch ganz ohne dem schlechten Beispiel des so genannten „Realsozialismus“ und dessen Missinterpretation als kommunistische Diktaturen muss unter diesen Umständen auch für die der subalternen Kapitalkasse angehörigen Kreise jeder Gedanke an eine kommunistische Emanzipation aus der Spaltung der Welt in verschiedene Klassen Aneignungsvermögen eher als Gefahr für die eigenen Existenzbedingungen gesehen werden.
Eher emanzipationsideologisch argumentierende Kapitalismusgegner, die der Bedeutung der ökonomischen Struktur für das Bedenkenkönnen und-wollen gesellschaftlicher Perspektiven weniger Beachtung schenken, und noch weniger Aufsehens von der Notwendigkeit von Emanzipationsbemühungen bzw. -fortschritten innerhalb dieser Struktur machen und darüber nachdenken möchten, welche neue Möglichkeiten des Bedenkens sich durch welche konkreten Fortschritte und Fortschriittsbemüungen ergeben könnten, fokussiieren ihre Kritik deshalb auf eine „imperiale Lebensweise“ und eine diese bedienende Politik.
Was wir dem in Wien Politikwissenschaft lehrenden Ulrich Brand gemäß …
„… dringend brauchen, ist eine Infragestellung von dominanten Trends: etwa, ob Wettbewerbsfähigkeit wirklich das Wichtigste ist. Oder ob die fossile Energiebereitstellung mit all den geopolitischen Implikationen so wichtig bleiben muss. Die Nichtinfragestellung der dominanten Lebensweise bringt es mit sich, dass wir nie an den Kern des Problems kommen.“
http://www.buko.info/fileadmin/user_upload/doc/reader/BUKO-Gesnat-Seminar-04-2013-Reader-V1.pdf
Brands Klage über eine falsche Politik der „Nichtinfragestellung der dominanten Lebensweise“ schließt womöglich eigene Nichtinfragestellungen ein, nämlich, dass die kapitalistischen „Lebensweisen“ oder besser Weisen des (globalen) Zusammenlebens bzw. -wirkens subjektiv und auch politisch wenig beeinflussbar sind. Die beklagte falsche Politik bzw. Lebensweise ist Folge und nicht Usache der dem kapitalistischen Für- und Voneinander eigenen Borniertheiten der individuellen bzw. politischen Rechtfertigungszusammenhänge.
Wenn kapitalistische Interaktionsbedingungen auch für die subalterne Kapitalklasse im Allgemeinen keinerlei Notwendigkeit schaffen, sich um die sozio-ökologischen Voraussetzungen und Wirkungen des zur eigenen Bedürfnisbefriedigung zu unternehmenden Tun und Lassens zu sorgen, so liegt das nicht zuletzt daran, dass sich die ökonomischen Beziehungen kapitalistisch vergesellschafteter Menschen (und deren Institutionen) „hinter den Rücken der Akteure herstellen“ (Marx). Der kapitalistische Alltag bietet wenig Anlass, sich die Lebens- bzw. Reproduktionsbedingungen der Menschen (Tiere oder Pfanzen, Regionen, Geschlechterm Generationen usw.) durch den Kopf gehen zu lassen, deren Arbeit bzw. Wachsen und Gedeihen für die Bereitstellung der zur eigenen Bedürfnisbefriedigung notwendigen Rohstoffe und agrarische Produkte, Kleidung oder elektronische Geräte usw. sorgen.
Eine der Erfolgsgeheimnisse kapitalistischer (Re-) Produktionsverhältnisse ist, dass sich den hinterrücks vergesellschafteten Produktions- bzw. Aneignungsagenten (bzw. Agenturen) ihre eigenen Verhältnisse als Verhältnisse von bzw. zu Sachen (Waren) darstellen. Marx behandelte dieses Phänomen im ersten Band des KAPITALs im Kapital über den Fetischcharakter der Ware. (Siehe auch Sind wir des Warensinns?).
Der Fetisch-Effekt schafft auch ein spezifisches Rechtsgefühl bzw. deren Fehlen: Das Warenangebot wird nicht als die sozio-ökologische Tatsache wahrgenommen die sie ist, nämlich das Ergebnis fremder Arbeit bzw. Naturumwandlungsprozesse. Stattdessen wird es als das mehr oder minder gerechte Ergebnis der eigenen Arbeit gesehen. Steigerungen im Warenangebot und deren Erreichbarkeit können in der Regel nur als Steigerung eigener Leistungen bzw. Ansprüche wahrgenommen werden, egal ob der Zugewinn an Konsummöglichkeiten durch tatsächlich mehr eigene Arbeit oder höhere Bezahlung, effektivere Produktionsmittel, verbesserte Infrastruktur oder durch vermehrter Raubbau an Arbeitskraft und anderen Produktivkräften der Natur zustande gekommen ist. bzw. durch die Umgehung von Verantwortung für deren Reproduktionskosten. Der durch den Fetischcharakter der Ware bestimmte kapitalistische Alltag macht also, dass nicht-nachhaltige Produktion denen, die sich das dadurch zunächst einmal (!) vermehrte Warenangebot vermehrt aneignen können, fälschlicherweise als ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit erscheint. Dieses falsche Bedenken der sozio-ökologischen Tatsachen bzw. Entwicklungsperspektiven ist die unwillkürliche Konsequenz einer auf klassenspezifische Produktion bzw. Aneignung von Waren (Warentausch- bzw. -gebrauchswert) angelegten und leidlich nationalstaatlich regulierten Produktions- bzw. Aneignungsordnung bzw. -struktur.
Auch in entwickelten Demokratien reicher Regionen sind die Möglichkeiten begrenzt, die gegensätzlichen Privatinteressen zur sozio-ökologisch Vernunft zu bringen. Wählerstimmen und Steueraufkommen hängen am Geschäftserfolg der nationalen Wirtschaftsakteure deren gesamtgesellschaftliche bzw. ökologische Vernunft strukturell in Frage steht. Von der Politik „Infragestellung von Wettbewerbsfähigkeit“ zu verlangen, bedeutet deshalb von ihr zu verlangen, die eigene Existenzgrundlage infrage zu stellen.
Man mag Brands Forderung des Unmöglichen als eine intelligente Strategie zur Aufdeckung der kapitalistischen Grundlage aller Politik sehen. Nur negiert die anti-kapitalistisch motivierte Politikbeschimpfung damit auch selbst die Tatsache, dass die kapitalistischen Behauptungszwänge jeder erdenklichen Politik strukturelle Grenzen auferlegen. Auch die Kritik der imperialen Lebensweise deutet auf einen Mangel an Aufmerksamkeit gegenüber den Grenzen, die der freien Gestaltung von Lebensweisen durch die ihr zugrunde liegenden ökonomischen Struktur gesetzt sind. Der strukturvergessene Subjektivismus der Kritik aber macht schnell anti-kapitalistische Besserwisserei zum gleichzeitigen Ausgangs- wie Endpunkt jeder Intervention. Dabei verheddert sich die eigene Intelligenz m Verlangen, trotz Schelte an die das falsche Leben fördernde Politik überhaupt vor politischen Gestaltungsbemühungen innerhalb des kapitalistisch Möglichen zu warnen. Selbst Gestaltungserfolge würden nur die Integration in das imperiale Leben und die Politik, die es stützt,befördern.
Zwar gibt es tatsächlich kein richtiges Leben im falschen. Ein gesamtgesellschaftlich bzw. ökologisch hinreichend vernünftiges Zusammenwirken ist unter der Regie national regulierter Privatvermögen schlicht unmöglich. Die Bedingungen unter denen sich kapitalistisch vergesellschaftete Subjekte zu behaupten haben bieten außerdem wenig Raum für Gedanken an die Entwicklung brauchbare Zukunftsvisionen. Trotz deutlicher Signale, dass die auf kapitalistische Art forcierte Produktivkraftenwicklung eine Reihe bedrohlicher Menschheitsprobleme aufgehäuft hat, die mit den gegebenen Produktions- bzw. Aneignungsregeln definitiv nicht in den Griff zu bekommen sind, wagt kaum jemand der Wahrheit ins Auge zu blicken, dass innerhalb historisch sehr kurzen Zeit eine solidarische Welt geschafft sein muss, deren Miteinander sich um gemeinsam ausgearbeitete Ziele und Standards dreht. Die Ungeduld derer, die das Problem erkannt zu haben meinen, ist verständlich und auch gerechtfertgt. Doch gerade weil die notwendigen Veränderungen so grundlegend sein müssen und keine Zeit zu verlieren ist, ist es so wichtig, die innerhalb des kapitalistischen Chaos in eine sozio-ökologisch vernünftige Richtung strebenden bzw. bewegbaren Tatsachen, Trends, Bewegungen, Hoffnungen, Ideen, Fort- oder auch Wortschritte wahrzunehmen und der Frage nachzugehen, was deren Weiterantwicklung in die notwendig zu gehende Richtung am meisten förderlich sein könnte.
Kommunistischer Horizont
Statt von den kapitalistisch vergesellschafteten Individuen bzw. Akteuren der Politik kapitalistischer Staaten Dinge zu verlangen, die sie beim besten Wiillen nicht leisten können, sie können nun einmal nur auf Grundlage der gegebenen Behauptungsverhältnisse operieren, sollten Ulrich Brand und die ähnlich argumentierenden linken Kapitalismusgegnerinnen und -gegner besser über die Notwendigkeit und die mögliche Gestalt eines (welt-) kommunistischen Horizonts streiten auf den hin die aktuell denk- und machbaren oder auch bereits geschafften Fortschritte zu orientieren wären.
Der letztlich zu überschreitende Horizont kann nur sehr allgemein skizziert werden. Aber das Skizzierte muss auch zur hinreichend zielgerichtete Bewegung auf ein Dahinter anregegen können, das zu erreichen trotz allem Strukturkonservatismus des kapitalistischen Seins von mehr und mehr Individuen und deren Institutionen als notwendig, richtig, und möglich erscheint und dazu auch noch – und zwar mit Fug und Recht – als sehr viel weniger risikoreich als die Beibehaltung des Bestehenden.
Der zu zeichnende Horizont muss deshalb an zunehmend auch allgemein nachvollziehbaren Begriffen, Perspektiven bzw. praktschen Ansätzen anknüpfen, die möglichst bereits in der (welt-) gesellschaftlichen Diskussion angekommenen sind. Neben z.B. der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte wäre das etwa der UN-Prozess der nachhaltigen Entwicklung. Statt an der „Schwammigkeit des Nachhaltigkeitsbegriffes“ herumzumäkeln, wie es in der sich als aufgeklärt empfindenden Welt derzeit Mode ist, sollten die radikalen Kapitalismusgegener lieber auf einer quasi weltkommunistischen Perspektive nachhaltiger Entwicklung drängen: Weltweit sollen alle gut gut leben können ohne dass dies die Grundlagen des guten Lebens aller untergräbt, d.h. auch nicht die Lebens- bzw. Entwicklungsgrundlagen zukünftiger Generationen und die der außermenschlichen Natur.
Einen so gezeichneten Horizont zu erreichen, setzt die die Entwicklung der Fähigkeit voraus, ein menschliches Für- und Voneinander zu etablieren, das auf Grundlage eines – am Ende weltgemeinschaftlichen – Nachhaltigkeitsmanagements funktioniert. Es sollte unschwer zu erkennen sein, dass ein auf Entwicklungsgerechtigkeit und ökologische Vernunft orientierendes gemeinschaftliches Welt-Ressourcen-Management notwendige Bedingung der Überwindung klassenspezifischer wie auch nationaler Aneignungs- und Kooperationszwänge und -interessen ist. Es ist auch logische Bedingung der Möglichkeit regionaler und lokaler (Re-)Produktionskreiskläufe – insoweit technisch möglich und sozio-ökologisch rational. Ohne die Möglichkeit der weltgemeinschaftlichen Abstimmung kann es allerdings überhaupt keine sozio-ökologisch vernünftige Vermittlung unterschiedlicher Bedürfnisse und Möglichkeiten mit den zu ihrer Befriedigung in Kauf zu nehmenden Kosten sozio-ökologischer Natur geben.
Wie genau die weltgemeinschaftliche Vermittlung der verschiedenen Bedürfnisse mit den zu ihrer Befriedigung notwendigen Fähigkeiten und Kosten aussehen wird oder auszusehen hat kann natürlich nicht im Vorab, d.h. auf Grundlage der gegebenen Behauptungszwänge festgelegt werden.
“Der Kommunismus ist für uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben [wird]. Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt.”
Marx/Engels: Die deutsche Ideologie. MEW Bd. 3, S. 35
An dem, was derzeit an wirklicher Bewegung geschieht oder historisch möglich geworden ist, gehörte allerdings erörtert, was sich davon, unter welchen Umständen und wie in Richtung eines – am Ende weltgemeinschaftlichen – Nachhaltigkeitsmanagements als Grundlage eines gesellschaftlichen Miteinanders bewegt bzw bewegen ließe, das allen ein gutes Leben erlaubt, ohne das dies die Grundlagen eines guten Lebens aller untergräbt. Und das sind beileibe nicht nur die vom Anti-Kapitalismus außerhalb des Warensinns verorteten Umsonstläden, das Basteln an Umsonstsoftware, Umsonstlexika oder das freie Schrebergärtern usw. Die UN-Bemühungen um eine nachhaltige Entwicklung und insbesondere der Prozess zur Findung von UN-Nachhaltigkeitszielen wäre hier zuforderst zu nennen.
Wer sich um die fatalen Konsequenzen der Halbheiten und Widerspüche sorgt, die dabei aufgrund der (welt-) gesellschaftlichen Interessenslagen und Kräfteverhältnisse notwendigerweise zutage treten, möge Koalitionen mit all denen schmieden, die bemüht sind, mit wissenschaftlicher Stringenz das jenseits struktureller Denkblockade und Handlungshemmnisse als das notwendig zu Tuende zu idenzifizieren und dabei eigene (und damit im Übrigen auch potenziell gemeineigentümliche) Problemlösungskompetenz aufzubauen.
Die Kunst des kommunistischen Aufhebensmachen von den existenziellen Menschheitsproblemen, die sich dank heutiger Dynamik der Produktivkraftentwicklung auftürmen (sowie von den strukturellen Unzulängllichkeiten der heute möglichen Bemühungen um deren Lösung) scheint mir – in Bezug auf die Klassenfrage – die Vermeidung zweier Kurzschlüsse zu sein: einerseits die notwendigen Verteilungskämpfe zwischen den verschiedenen Klassen kapitalistischen Aneigungsvermögens mit dem Hinweis auf die zu bewältigenden Menschheitsprobleme zu einem Anachronismus zu erklären, der alles nur noch schlimmer machen würde. Dies erfgreift nicht nur ungewollte Partei für den strukrurell schwächeren Part sondern deckelt auch die nach Emanzipation aus der Borniertheit der eigenen Klassenlage strebenden Ansätze. Emanzipationswidrig wirkt aber auch der umgekehrte Kurzschluss, dass es nämlich nur noch darauf ankäme, Nichtintegriertsein zu demonstrieren und sich – wie auch immer subversuiv zu gebärden.
Im Extremfall wird dann alles augenscheinlich Aufrührerische, informell Produzierende oder Outlaws zur bewunderten, einzig nicht korrupten „Klasse“, selbst wenn sich das Aufbegehren gegen Attribute der modernen Welt richtet und über die Rationalität, Individualismus und Berechnung zu Felde gezogen…
Nun gut …
Nun sind die paar eigenen Überlegungen vor dem Lesen und Hören der Marx-Herbstschule Dokumente doch etwas ausführlicher geworden, als zunächst gedacht. Vieles wäre noch zu erörtern wie etwa die Bedeutungen der Sozialstruktur-Verschiebungen der letzten Jahre und Jahrzehnte, die Sache mit der Künstlerkritik und anders. Aber es wartet eine Menge Arbeit. Das vor mir liegende Buch über Planung in der DDR und was daraus gelernt bzw. nicht gelernt werden kann soll nun endlich zuende studiert werden um zu sehen, was dabei zur Frage der marx/engelsschen Perspektive eines ökohumanistischen Kommunismus zu gewinnen ist. Aber zwischendurch werde ich mir nun endlich auch die Herbstschul-Sachen zu Gemüte führen. Bin gespannt.
Rethinking Workingclass. Postcolonial Perspectives on the historie of class Mit Prof. Dipesh Chakrabarty (University of Chicago)
Zu den folgenden Themen stehen Audio-Dokumete bereit:
Wiedergegeben ist auch der Einladungstext. Dort heißt es u.a.
Es gibt Reformulierungen, Ausweitungen und Verschiebungen (Multitude, Subalterne, Ausgeschlossene etc.), es gibt, vor allem von feministischer, anarchistischer und postkolonialer Seite, eine anhaltende Kritik, es gibt aber auch eine erneute Selbstverständigung über den „klassischen“ Klassenbegriff.
Zu ergänzen wäre vor allem Bourdieus Unterscheidung zwischen ökonomischen, sozialen, sympbolischen und kulturellen Kapitalsorten mit jeweils eigenen Klassen, die zwar ineinander verschränkt sind, aber mit jeweils eigener Wirklichkeit. Symbolisches und kulturelles Kapital etwa (re-) produzieren Klassenlagen innerhalb bzw. mit verschiedener Lebensstile (verschiedenen Lebensstilen) mittels Habitus.
Aber, so heißt es weiter im Einladungstext…
Wie immer die Rückkehr indes auch ausfällt – der Begriff der Klasse führt letztlich zurück zu Marx. Allerdings fällt auch bei Marx selbst der Begriff unterschiedlich aus, im Manifest der Kommunistischen Partei anders als in der Schrift Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte, und in den Philosophischen Manuskripten anders als im Kapital.
Hat dies auf Politische Theorie rebloggt und kommentierte:
Der kapitalistische Produktionsprozess
Der leichteren Verständlichkeit wegen habe ich die beiden Absschnitte über die Bestimmung der beiden Klassen kapitalistischen Produktions- bzw. Aneignungsvermögen überarbeitet. Auch an anderen Stellen wird das Ganze eine Zeit lang immer mal wieder etwas nachreifen. Über die heute so sehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit geratenen Unterschiede der Lebenschancen zwischen verschiedenen Gruppen lohn- und gehaltsabhängig (Un-) Beschäftigter und dem – sehr widerspüchlichen Verhältnissen von Rassismus, Sexismus und kapitalistischer Interaktionsgeschichte folgt in einiger Zeit ein eigener Beitrag.
Kritik ist stets willkommen.
Die ersten sieben Absätze heute einem leichteren Verständnis wegen überarbeitet.