Ja, manchmal ist Facebook doch hilfreich. So bekomme ich wenigstens mit, was heutzutage in meiner einstigen Leib- und Magenzeitung ak so diskutiert wird. In der aktuellen Ausgabe hat sich der schätzenswerte Ingo Stützle kritisch mit einigen Ansichten linksradikaler Kapitalismusgegner/innen auseinandergesetzt:
„Statt radikaler Pose bedarf es organisierter Lernprozesse“.
Der Titel scheint mir das Problem des bekennenden Anti-Kapitalismus auf den Punkt zu bringen. Der Hintergrund: Als Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft firmierende Diskutanten hatten sich in ak 580 dazu bekannt, »die Spaltung der Linken in EtatistInnen und Antiautoritäre … befördern« zu wollen. Anti-Etatismus ist in der Tat eine immer wiederkehrende Lächerlichkeit anarchistischer Glaubenssysteme! Gesellschaftliche Widersprüche werden dabei komplett auf den Staat projiziert.
In den nächsten Jahrzehnten wird sich die vorerst noch weitgehend unterirdisch ausbreitende Systemkrise aller Wahrscheinlichkeit nach dramatisch zuspitzen. Es ist deshalb von größter Bedeutung, dass sich rechtzeitig eine hinreichend breite und gescheite Basis für die unabdingbaren Veränderungen grundsätzlicher Natur herausbildet. Was aber erst einmal auch nur weitgehend unbewusst geschehen kann, d.h. in der Hauptsache eben nicht als (von vornherein) bekennender Anti-Kapitalismus, für dessen Protagonst(inn)en alles andere als ihr „Weg-mit-dem-Kapitalismus“ gilt und nur als „Integration-ins-System“ und allein verantwortlich für die anhaltende Unlust auf revolutionäre Abenteuer.
Das demonstrative Revoluzzen mag zwar hin und wieder auch kleinere Erfolge bringen. Aber der Herausbildung einer die nötigen Veränderungen wirklich einleitenden und tragenden (welt-) gesellschaftlichen Basis arbeitet solch Antireformismus am Ende doch definitiv entgegen.
Es herrscht bei den FreundInnen eher ein Narzissmus der großen Differenz statt Interesse an Verständigung. Wer Akteure der Veränderung sein könnten, bleibt ebenso unklar, wie ein Bruch mit den Verhältnissen organisiert werden sollte
Dieser hilflose weil idealistische (d.h. die jeweiligen historischen Möglichkeiten unbeachtet lassende) Anti-Kapitalismus lebt geradezu davon, keinerlei Gedanken auf die Entwicklung allgemeiner Vorstellung über die eigenen Ziele zu verschwenden. Und erst recht nicht, wie es dazu kommen könnte, dass diese Ziele dann auch wirklich die Ziele der großen Masse der Bevölkerung weltweit sind (und die noch nicht davon Überzeugten in einer menschenrechtlich akzeptablen Weise dazu gebracht werden können, dem wenigstens keinen gewaltsamen Widerstand entgegen zu setzen)
Die Geschichte des so genannten „Realsozialismus“ zeigt, dass Kommunismus unmöglich per Erziehungsdiktatur einer selbsternannten Elite Realität werden kann. Eine ökologisch kompetente Abstimmung (das heißt auch Veränderung) der unterschiedlichsten Bedürfnisse mit den dazu nötigen Arbeitssleistungen und dem dadurch vermittelten Stoffwechsel mit der Naturumwelt kann – logischerweise – nur als (weltweite) Massenbewegung zur tatsächlich allgemeinen Grundlage des globalen Füreinanders werden. Sich eine an Umfang und Qualität (zum Beispiel an Mitmenschlichkeit und Fähigkeit zur weisen Voraussicht) hinreichend breite und qualifizierte Weltbewegung in diese Richtung auch nur vorzustellen, ist bereits eine riesige Herausforderung. Dass dabei Gefühle der Überforderung aufkommen und dies allerlei Formen der Regression provozoiert, ist nachvollziehbar. Macht es aber nicht besser. Notwendig ist eine systematische Untersuchung bzw. Erörterung – und schließlich auch Herstellung – der für eine große Transformation nötigen Voraussetzungen.
Notwendig ist z.B. ein ernsthaftes Interesse an den tatsächlichen (alltäglichen) Beweggründen derer, die in all ihren strukturellen (d.h. notwendigen!) Halbheiten und Widersprüchen aber eigenem Herz und Verstand in Richtung einer nachhaltigen Entwicklung mit der Idee aktiv werden, auf ein gutes Lebens allerMenschen weltweit zuzusteuern, das nicht zugleich die Grundlagen des guten Lebens von Mensch und Umwelt zerstört. Wer dagegen von einer militanten Dauerempörung als einziger Weg zum … ??? (ja, was eigentlich?) träumt, (der dann schon irgendwie zu einm guten Ende führt, weil ja schließlich alles Gute von Unten kommt), der kann in allem anderen natürlich nur Quark bzw. Verrat und Charakterlosigkeit sehen.
Fortschritte in Richtung einer kollektiven Ent-Entfremdung jenseits „revolutionärer“ Attitüde können aus dieser Sicht deshalb auch nicht als Stärkung und notwendige Grundlage eines allgemeinen Verlangens nach Mehr des Guten gesehen werden, das die unabdingare Voraussetzung für die Herausbildung einer revolutionären Situation ist (zumindest einer, die man erleben möchte).
Interessanterweise wird dabei im Namen einer unbestimmten „Systemkritik“ der tatschliche Systemcharkter des allzu menschlichen (d.h. systemisch begrenzten) Handelns und Bedenkens ausgblendet, dessen Berücksichtigung für eine humanistischen Perspektive die auf einen Ausgang aus unverschuldeter Unmündigkeit zielt, systembildend ist.
Ingo Stützle hat darauf hingewiesen, dass ohne ein Interesse an Umständen, die Lernprozesse ermöglichen, (auch jenseits militanter Kämpfe), die nach einem Mehr in die gewünschte Richtung verlangen lassen, all die schöne nach Veränderung dürstende Empörung in der „radikalen“ Pose verharrt. Es entwickelt sich eine „katholische“ Hoffnung auf die vom sündigen Ökokapitalismus unbefleckte Empfängnis eines reinen Geistes, der dann holter die polter als fertige „klassenlose Gesellschaft“ ins Leben tritt.
Ingo Stützle sieht ganz richtig die Verhaftetheit der revolutionären Pose in die Ideologie bürgerlicher Aufklärung. Deren Problem ist, dass sie die Fragen nach der Wahrheint, Wahrhaftigkeit und Richtigkeit einer Entwicklungsperspektive von den materiellen Verhältnissen also den historischen Möglichkeiten loslöst, d.h. von den historisch gegebenen Existenz- bzw. Entwicklungsbedingungen der handelnden (und ihr Handeln bedenkenden) Subjekte (Menschen und deren Institutionen) .
„Dass die FreundInnen ihren Text ausgerechnet Rosa Luxemburg widmen, ist besonders ulkig. (…) Luxemburg war nämlich (…) eine Verfechterin kollektiver Lern- und Erfahrungsprozesse. (…) Lernprozesse versteht Luxemburg durchaus umfassend und unterscheidet sich hier von der bürgerlichen Vorstellung der Aufklärung. Diese löst »gute« und »richtige« Argumente von den materiellen Verhältnissen und Praktiken ab, die sie erst zu einer materiellen Gewalt und ernst zu nehmenden »Wahrheit« machen.“
Abschaffung des Lohnsystems?
Gegenstand der Aufklärung soll „die Abschaffung des Lohnsystems“ sein. Klar dass die revolutionäre Pose bei so einem „Vorhaben“ in Verzückung gerät. Und um sicher zu stellen, dass ja keine unbequeme Fragen den Spaß am Avantgardebewusstsein verderben wie etwa die nach historischen Erfahrungen mit solchen Abschaffungen (Pol Pot, Kriegskommunismus) oder, wie ganz grundsätzlich die weltweite Vermittlung von Bedürfnissen, dem für deren Befriedigung notwendigen Arbeitsaufwand und Eingriffen in die Natur (außerenschlichen Lebenszusammenhänge bzw. Lebensbedingungen) aussehen soll. Und was verhindert, dass die angestebte Herrschaft des freien Willens in repressiver Willkürherrschaft im Namen „der Gemeinschaft“ oder was sonst immer „immer Recht“ hat, umschlägt. Da hilft natürlich schärfste Abgrenzung und Zusammenrücken der Gläubigen. Das ist auch die beste Methode, das schöne Gefühl der Überlegenheit gegen all die schnöden Reformisten, Ökologen usw. nicht auf die Probe stellen zu müssen. Und man könnte fast froh sein, dass das augenblicklich keine guten Aussichten hat, zur bestimmenden gesellschaftliche Macht zu werden.
Das Lohnsystem und überhaupt Geld als zentrales Mittel der Organisation menschlicher Existenzsicherung und Bereicherung kann nicht einfach abgeschafft werden. Es sollte auf der Hand liegen, dass die gegebenen Art des globalen Füreinanders höchstens ÜBERWUNDEN werden kann. Und dass das nur ginge, wenn nachvollziehbar BESSERE Mittel der Existenzsicherung und Bereicherung entwickelt werden, die von hinreichend vielen Menschen auch gewollt sind. Klar, dass dies nur im Zuge langwierige Emanzipationsprozesse geschehen kann. Durch eine sukzessive Annäherung. Im Verlaufe geschichtlicher Lernprozesse, in denen sich die Vorstellungen von der Notwendigkeit, Richtigkeit UND Machbarkeit eines weltweiten Miteinanders auf Grundlage einer bewussten Abstimmung von Bedürfnissen und der für deren Befriedigung notwendigen Arbeit, Natureinwirkung usw. zugleich entwickeln und verallgemeinern.
Die FreundInnen drücken sich um eine Aussage, mit wem und wo über die Abschaffung des Lohnsystems gesprochen werden soll. (…) Nur wen sie nicht mehr als Gesprächspartner anerkennen wollen, ist klar (…) Damit sind wir wieder bei zu organisierenden Lern- und Erfahrungsprozessen. Wie kann man Sorge dafür tragen, dass sich die Einsicht, dass das Lohnsystem nicht der Weisheit letzter Schluss sein sollte, verallgemeinern – als Massenbewusstsein? Die Gefahren reformistischer Fahrwasser und reformistischen Pragmatismus können nicht mit einer revolutionären Haltung umgangen werden, das ist vielmehr eine organisatorische Frage.
Es ist vor allem eine Frage des Mutes, jede Menge reformistischen Pragmatismus und ZUGLEICH mehr (Öko-) Kommunismus zu wagen ;-), d.h., einen revolutionären, grünen Reformismus zu vertreten (zu entwickeln bzw. zu praktizieen) der sich dadurch auszeichnet, dass er sich selbst nach und nach, aber in einer durchaus systematischen Weise zu einem Instrument des (umwelt-) bewussten Übergangs ins Anthropozän, weiter entwickelt. Das heißt einer Weltgesellschaft, die den Globalisierten dieser Erde erlaubt, sich zueinander und zu ihrer Naturumwelt endlich als ökologisch gebildete Mitmenschen zu verhalten, weil sie – sich ihrer Verantwortung bewusst werdend – zur Menschheit formieren, die dann tatsächlich in der Lage wäre, als eine solche Entscheidungen zu fällen und ein entspechendes Handeln zu erlauben.
Wie kann in einer rationalen, das heißt, nachvollziehbar zweckmäßigen Weise über Notwendigkeit und der Schaffung von Möglichkeiten debattiert werden, Lohnarbeit zu überwinden? Es müsste z.B. erklärt werden, was an der Lohnarbeit denn so schlimm ist. Da wären etwa die existenzielle Abhängigkeit vom unternehmerischen Erfolg privateigentmlicher Bereicherungsagenturen, auch wenn diese unter menschenunwürdigen Bedigungen gefährlichen Unsinn produzieren – lassen.
Es wären dann aber auch danach zu schauen, was von sich aus –und sei das noch so schwach, halbherzig und widersprüchlich – in Richtung einer Problemlösung tendiert bzw. unter Umständen entsprechend weiterentwickelbar wäre. Das schließt Kämpfe um Verbesserung von Arbeitsbedingungen (weltweit) ein aber auch Initiativen für ein bedingungsloses Grundeinkommen (weltweit) , oder das, was sich rund um die UN-Nachhaltigkeitsprozesse tut. (Aktuell die Entwicklung von Nachhaltigkeitszielen). Oder nach zunächst utopisch anmutende Gedanken. Könnte Arbeit etwa vermehrt außerhalb von Betrieben im Rahmen selbstverwalteter Wir-Gesellschaften für nachhaltige Entwicklung organisiert werden? Die eine Mischung aus Freizeitgestaltung, (Fort-) Bildung, Projektarbeit usw. sein könnten? Sich womöglich auch als – sozial bzw. ökologisch verantwortliche – Leiharbeits-Gesellschaften betätigen? Alles auf Basis größtmöglicher Freiwilligkeit?
Wie auch immer muss eine Mischung aus solchen Ansätzen erst eine gewisse Reife erreicht haben, bevor das Geld als zentrales Werkzeug der Vermittlung und Organisation eines arbeitssparenden Füreinanders durch bessere Mittel der Vergesellschaftung ersetzt werden kann. Die ökologische Rechnungsführungen erlauben und Formen des globalen Miteinanders, welches auf wissenschaftlich gestützte Mitmenschlichkeit aufbaut und hinreichend ökologische Vernunft erlaubt,
So weiterst einmal
Nachtrag am 12 Juni:
Natürlich lassen sich in Richtung „Überwindung der Lohnanhängigkeit“ und weltgemeinschaftliche Abstimmung von Produktionszwecken, -standards, -mengen usw. noch viele überraschende Wendungen denken. Etwa durch Dinge die mit der gemeinschaftlichen Selbstorganisation „überschüssiger“ Produktivkräfte zu tun haben, wie sie unser kapitalistisches Füreinander nun einmal auch erzeugt.Und die „normalerweise“ zur kapitalismustypischen Armut durch Überfluss führen. Tatsächlich scheint zum Beipiel auch WIKIPEDIA das professionelle Lexikonmachen zu verunmöglichen und untergräbt die bisherigen Existenzbedingungen derer, die das bisher beruflich bewerkstellgt hatten. Das ist keine Kleinigkeit und verlangt nach Antworten jenseits der produktiven Zerstörung. Die aber vielleicht auch gefunden werden.
Und die Geschichte geht weiter, wie das folgende Video zeigt auf das ein Beitrag auf keimform.de aufmerksam macht.
Habs heute morgenüberarbeitet, und es werden die nächsten Tage sicher noch die einen oder anderen kleinen Korrekturen notwenig sein.
Da alles mit allzu heißer Nadel gestickt, habe ich die Refexionen über den ak Beitrag “Statt radikaler Pose bedarf es organisierter Lernprozesse”.noch einmal etwasgründlicher überarbeitet.