Ein erster (verspäteter) Blick auf Material des Attac-Kongress „Jenseits des Wachstums?!“ (20.-22. Mai 2011, TU Berlin)
(Zum Thema siehe auch die Überlegungen zum „Fetischbegrff Wachstum“).
Die 12 Mainzer Attac-Thesen wider den globalen Kollaps waren nach Angaben deren Träger (Attac AG Mainz, Initiative Ökosozialismus VDAS) …
„…aus einem intensiven Diskussionsprozess innerhalb von Attac Mainz sowie mit BündnispartnerInnen und SympathisantInnen entstanden. Es zeigt auf, dass angesichts des Klimawandels und der Ressourcenknappheit ein radikaler Schrumpfungsprozess der Ökonomie unausweichlich ist. Die Thesen zielen vor allem darauf ab, diesen Schrumpfungsprozess solidarisch zu gestalten, um die drohende „Refeudalisierung“ unserer Gesellschaft zu vermeiden.“
Damit ist zwar noch nicht die Notwendigkeit formuliert, Ressourcengebrauch weltgemeinschaftlich zu gestalten, aber „solidarisch“ geht möglicherweise in eine solche Richtung. Die Menschheit stellt sich nach Marx ja nur Aufgaben, die sie lösen kann. (Wozu sie sich allerdings auch erst als eine solche formieren müsste). Solcherart „weltkommunistische“ Perspektiven scheinen immer noch undenkbar. Leider schürt dieser Mangel „revolutionäre Ungeduld“, die wiederum meine Geduld auf die Probe stellt.
In These 3 heißt es:
„Technische Lösungen zur Reduzierung der CO2-Emission wie CO2 -Abscheidung und – Speicherung (Carbon Capture and Storage ) oder das Elektro-Auto können zwar die CO2-Emission verringern. Diese Effekte werden aber nicht wesentlich zur CO2-Senkung beitragen. Auch durch eine sogenannte „Effizienzrevolution“ ist die geforderte CO2-Reduktion nicht erreichbar.“
Diese Kritik ist nicht unberechtigt, verharrt aber selbst im Technischen. Nicht nur, weil das Wörtchen „nur“ oder „in erster Linie“ (technische Lösungen) fehlt und das Abwehr produziert wo ein kritisch-solidarisches Weiterentwickeln vonnöten wäre. Die Autoren verlängern die sozioökonomischen Rahmenbedingungen, die noch (!) dafür sorgen, dass die sozialen bzw. ökologischen Effekte einer verbesserten Ressourceneffizienz (durch dadurch frei werdende Wachstumspotenziale) wieder „aufgefressen“ werden, schlicht in die Zukunft.
These 4:
„Das von den GRÜNEN, aber auch einigen sozialen Bewegungen propagierte „qualitative Wachstum“, also ein Wachstum des Brutto-Inlandsproduktes ohne Energie- und Rohstoff-Verbrauch (New Green Deal), ist ebenso eine Schimäre wie die „saubere Dienstleistungsgesellschaft“.
Hier zeigt sich, wie der Mangel an „ökokommunistischem“ Weitblick auch die Klarsicht für das im Nahbereich zu Tunde beeinträchtigt. So wird verkannt, dass im Bemühen um einen Green New Deal bzw. einem geringeren Ressourcenverbrauch für den gleichen oder auch mehr gesellschaftlichen Nutzen (bzw. bei geringeren Schäder oder Risiken) immerhin (!) Ansätze eines gesellschaftlichen Bedürfnisses zu erkennen sind, Produktion und Aneignung entsprechend (welt-)gesellschaftlich bestimmter Parameter zu regeln, also miteinander zu bestimmen, was unter welchen Bedingungen wachsen und was lieber schrumpfen soll.
Statt darüber zu reden, wie sich das weiterentwickeln (!) ließe, bleibt man bei der „Herkulesaufgabe“ stecken, per Aufklärung den Fetischbegriff „Wachstum“ zu entzaubern.
Schimären? Mischwesen? Ja, sicher! Aber wer diesen Spuk durch das Verlangen erledigen möchte, dass im Ideenhimmel gefälligst nur reinklassigen Engelswesen herum zu geistern haben, vergisst, dass sie projektive Abbilder materieller Verhältnisse sind (Kräfteverhältnissen bzw. Strukturen) . Und die Verhältnisse sind so, dass sie nun einmal nur Schimären hervor bringen können. (Es gibt kein richtiges Leben im falschen). Kapitalismus als ein systemisches Problem zu sehen heißt, zu erkennen, dass es derzeit gar nicht möglich ist, NICHT halb ökologisch gebildeter Mitmensch und halb im kapitalistischen Schweinsgallop dahin rasendes Huftier zu sein. Was sonst? Da müssen wir tatsächlich durch.
Siehe auch Ökokapitalistischer Green New Deal? Ja, bitte!
These 5:
Das Gesundschrumpfen der Wirtschaft und die deutliche Verringerung des Konsums sind mindestens in den reichen Ländern unvermeidlich.
Eine Ökonomie, die zu deutlichem „Gesundschrumpfen“ gezwungen sein wird, um letztendlich einen nachhaltigen Gleichgewichtszustand zu erreichen, stellt Wirtschaftssystem und Politik vor nie gekannte Herausforderungen. Dieser Wandel der Ökonomie wird politisch nur dann durchsetzbar sein, wenn Reichtum umverteilt und soziale Gerechtigkeit hergestellt wird.
Zu einem eher schwachen Nachhaltigkeitsbegriff (nachhaltiger Gleichgewichtszustand „der“ Ökonomie durch „die“ Gesundschrumpfung) gesellt Attac die – durch die Passivform sehr paternalistisch klingende – Behauptung, dass sich dies nur durch Umverteilung des Reichtums und soziale Gerechtigkeit durchsetzen ließe. Das ist nur scheinbar klar. „Das Wirtschaftssystem“ erscheint hier als ein (überfordertes) Subjekt. Die zum Handeln ermunterten Subjekte, die Realisierungsbedingung und genauen Ziele für „die Gesundschrumpfung“ bleiben im Nebel. Wie etwa soll „das Wirtschaftssystem“ die Frage beantworten, ob die Regenwaldstaaten Indonesien und Brasilien eigentlich reich oder arm sind, und ob „deren“ Ökonomien von „der Gesundschrumpfung“ ausgeklammert werden sollen?
These 6:
„Wir müssen als soziale Bewegung die „Quadratur des Kreises“ bewältigen: Wir brauchen eine Strategie der Nachhaltigkeit mit einem Weniger an Produktion und Konsum, aber mit einem Mehr an Lebenszufriedenheit und Lebensqualität als heute. Bisherige Ansatzpunkte greifen zu kurz, wenn sie nur auf eine gerechtere Verteilung des bestehenden Reichtums zielen, denn dieser Reichtum selbst ist schon nicht nachhaltig erzielbar.“
Abgesehen davon, dass Ansatzpunkte nicht greifen können, (sie können das kurze oder das weite Greifen höchstens ermöglichen bzw. ihm förderlich oder hinderlich sein), ist hier nun endlich einmal ein wirkliches Problem nachvollziehbar beschrieben. An eine „gerechteren Verteilung“ gekoppelte Vorstellung von sozialer Emanzipation anzuknüpfen, erscheint mir allerdings selbst als zu kurz begriffen. Im Vordergrund sollten lieber Überlegungen stehen, was zu geschehen hat, damit das globale Miteinander vermittels Übereinkommen auf der Grundlage ökologischer Kompetenz gesteuert werden kann.
These 7:
„Wachstum des Brutto-Inlandproduktes (BIP) bedeutet größeren Ressourcenverbrauch. (s. These 3). Nicht nur deshalb ist das BIP als Zielgröße des Wirtschaftens ungeeignet. Wir brauchen andere Indikatoren, um die Wirtschaft zu steuern. Die neuen Zielgrößen müssen dazu führen, dass weniger Energie und Rohstoffe verbraucht und die Bürger zufriedener mit ihren Lebensbedingungen werden („Glückliches Schrumpfen“).“
Wachstumsfetisch durch Schrumpfungsfetisch zu ersetze, kann es – wie bereits erwähnt – nicht sein, und der bestimmte Artikel vor dem „Wirtschaften“ lässt vermuten, dass sich die Thesenautoren vorstellen, idealistisch gesetzte Wirtschaftserfolgindikatoren könnten irgend einen Einfluss auf „das“ (weiterhin kapitalistische) „Wirtschaften“ haben. Zufriedenheit und Glück können auch nur – selbst zu hinterfragende – Anhaltspunkte für den rechten Weg sein, denn natürlich kann man auch mit außerordentlich Fragwürdigem zufrieden und glücklich sein.
Selbstverständlich ist die Schaffung von Indikatoren für ein anstrebenswertes, d.h. sozial bzw. ökologisch nachhaltiges Zusammenwirken notwendig. Man sollte sich allerdings nicht allzusehr wundern, dass „das“ (kapitalistische) „Wirtschaften“sich nicht davon beeindrucken lässt. Das BIP ist nun einmal sein adäquater Ausdruck.
Oh, bin ja noch gar nicht durch. Habe meine bisher formulierte Kritik aber erst einmal nur überarbeitet.