Andreas Zielcke fragt in seinem am in der Süddeutschen Zeitung veröffentlichten Beitrag zur SZ-Serie
Das Anthropozän Gegen die Naturgewalt Mensch
Seit der Entstehung der Nationalstaaten bedeutet Selbststeuerung, politische Souveränität auszuüben. Unter demokratischen Vorzeichen heißt dies, dass alle Regierungsgewalt vom Volke ausgeht. Was aber bedeutet Selbststeuerung, wenn vom Volke eine Naturgewalt ausgeht? Wenn die Menschen nicht ihren politischen Absichten Gestalt geben, sondern das Weltklima aufheizen, die Kreisläufe auf dem Land und im Ozean schädigen, den Planeten übervölkern, die Ressourcen erschöpfen und den Erdball vermüllen?
Nun, das bedeutet, dass das menschliche Selbst Subjekt einer sein Handeln und Bedenken bestimmenden gesellschaftlichen Struktur ist, die ihm als eine Naturgewalt gegenüber tritt, und was als Selbststeuerung des Volkes erscheint also in Wirklichkeit die Selbststeuerung einer Naturgewalt ist, also keine kulturelle Leistung miteinander kooperierender menschlicher Individuen. Das ist so, …
„… solange die Menschen sich in der naturwüchsigen Gesellschaft befinden, solange also die Spaltung zwischen dem besondern und gemeinsamen Interesse existiert, solange die Tätigkeit also nicht freiwillig, sondern naturwüchsig geteilt ist, die eigne Tat des Menschen ihm zu einer fremden, gegenüberstehenden Macht wird, die ihn unterjocht, statt daß er sie beherrscht.
Marx/Engels: Die deutsche Ideologie, MEW Bd. 3, S. 33
„Die Frage geht jeder demokratischen Selbstbestimmung gegen den Strich. Offene Gesellschaften setzen, mit Karl Popper gesagt, eine offene Zukunft voraus: kein deterministischer Zwang, frei wählbare Optionen, selbstverantworteter Wandel, substantielle Alternativen. Wie keine anderen Gesellschaften beziehen die demokratischen ihre politische Energie aus ihrem Gestaltungs- und Reformoptimismus. Darum verlassen sie sich auch so bereitwillig auf das Versprechen des ewigen ökonomischen Wachstums. Umgekehrt ist es bei der Selbststeuerung, die die entfesselte menschliche Naturgewalt beherrschen soll. Bei ihr geht es nicht um die Chancen einer offenen, sondern um die Vermeidung einer verheerenden Zukunft. Das Höchste, das hier zu erreichen ist, ist die Abwendung ökologischer Katastrophen.“
Ist von „Offener Gesellschaft“ die Rede, richtet sich das nicht selten – explizit oder implizit – gegen die Idee eines nur irgendwie gestalteten Offenhaltens der Kommunismusfrage. Die freie Konkurrenz um die Fähigkeit, Dinge her- und bereit zu stellen, die besser als die der Konkurrenten private Bedürfnisse (die als solche hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen bzw. ökologischen Implikationen nicht rückgekoppelt werden müssen) befriedigen, beflügelte den gesellschaftlichen Fortschritt schließlich aufs Beste. Dass es notwendig werden könnte, über Zwecke und Bedingungen menschlichen Produzierens gemeinschaftlich (auch weltgemeinschaftlich) entscheiden zu können, erschien zumindest denen, die sich auf der Gewinnerseite des Fortschritts sahen, überflüssig.
Nun tritt der von Beginn an angelegte Widerspruch auch den Gewinnern vor Augen.
„Am deutlichsten offenbart sich das Dilemma auf dem Gebiet des Rechts. Welche Instanz kann mit welcher Sanktionsmacht die ökologische Steuerung für alle Welt ausüben? Da die Menschen ihre globale Naturgewalt nur global beherrschen können, lassen vor allem Geowissenschaftler nicht nach, an das „Humankollektiv“ zu appellieren. Dieses Kollektiv müsse ein „Erdmanagement“ installieren, wie es Frank Biermann ausdrückt, der in Utrecht Global Sustainability Governance lehrt. Doch ein geschäftsfähiges Subjekt „Menschheit“, das ein Öko-Management weltweit verbindlich regeln könnte, gibt es nicht.“
Weshalb ich ja nicht müde werde, auf die Notwendigkeit hinzuweisen, die Forderung stark zu machen, dass die Globalisierten dieser Erde sich als vereinigte Menschheit formieren, mit der sie sich (wir uns) in die Lage versetzen, tatsächlich als eine solche zu handeln, d.h. ihr (unser) globales Für- und Voneinander auf Grundlage eines – am Ende weltgemeinschaftlichen – Nachhaltigkeitsmanagement zu organisieren.
Nun wird es richtig spannend
„Natürlich ist die Nichteinmischung ein Charakteristikum des Völkerrechts. Aber hier geht es nicht um Gewaltverbote oder Regionalkonflikte, die von Fall zu Fall durch UN-Organe beizulegen sind, sondern um eine von der industriellen Zivilisation ausgelöste und sich täglich verstärkende Schädigung der Lebensbedingungen aller Menschen. Ökologisch muss sich die Menschheit in den Arm fallen, Unterlassen ist keine Option. Schon wenn wenige der Industriestaaten nicht handeln, werden alle Länder in Mitleidenschaft gezogen, ungeachtet ihrer Souveränität. Ökologisch gibt es keine Nichteinmischung mehr.“
Die Verpflichtung zum Umweltschutz in nationale Verfassungen zu implementieren, hilft nur sehr begrenzt, denn:
Die weltweiten Kreisläufe summieren sich nicht additiv aus den lokalen Faktoren, sondern bilden systemische, sich auf dem gesamten Planeten rückkoppelnde Wirkungsketten. Beim Klimawandel ist dies offensichtlich, aber kaum weniger beim Zusammenspiel zwischen Entwaldung, Bodenversiegelung, Grundwasserabsenkung und Wasserkreisläufen und den vielen anderen Wechselwirkungen zwischen scheinbar marginalen lokalen Eingriffen, die sich irgendwo auf der Welt zu unbeherrschbaren Zerstörungskaskaden kumulieren. Typischerweise aber verschwinden in der Umweltverträglichkeitsprüfung vor Ort diese Gesamteffekte hinter dem Horizont. Nicht nur das, hinter dem Horizont verschwinden damit auch die klassischen Verursacher- und Verantwortungsstrukturen des Rechts.
Also müsste das Völkerrecht reformiert werden. Wie käme, wer machte Bewegung in diese Richtung?
Wird fortgesetzt