Fetischbegriffe: Wachstum


Fetischbegriffe oder besser, als Fetisch funktionierende Zauberwörter, deren Gebrauch unhinterfragt soziale Orientierung versprechen wie etwa Fortschritt, Gott, Bedürfnisse, Werte usw. vermitteln das Gefühl,  den richtigen Umgang mit sich hinterrücks herstellende Beziehungen in den Griff zu bekommen. Ihr Fetischcharakter ist Ausdruck einer Arbeitsteilung, in der das Planen und Herstellen, Genießen, Entsorgen, die Beachtung von Nebenwirkungen einschließlich das Funktionierens der dafür notwendiger Infrastruktur, Rechtsverhältnisse usw. in voneinander abgeschotteten „Universen“ funktionieren, sprich: die für und voneinander lebenden Menschen und Institutionen sich in voneinander abgeschotete Behauptungsvbedingungen btw. Rechtfertigungbeziehungen bewegen.

Innerhalb kapitalistischer Formen der Arbeitsteilung können sich die Subjekte der Herstellung, Wiederherstellung oder Erweiterung  eines Nutzens, Schadens oder Risikos von der Last (aber auch der Lust) befreit fühlen, sich die entfernteren Wirkungen oder Voraussetzungen des Tuns und Lassens durch den Kopf gehen zu lassen. Kapitalistisch vergesellschaftete Personen und Institutionen brauchen sich für die sozialen bzw. ökologischen Voraussetzungen und Wirkungen ihres Tun und Lassens nicht voreinander zu rechtfertigen. Eine solche Arbeitsteilung bedeutet also individuelle Freiheit von der Last  & Lust, ein sozial bzw. ökologisch verantwortungsvoller Mitmensch zu sein, der für sein Mittun am Krummachen gerade stehen kann. Fetischbegriffe sind deshalb auch geistig-moralische Krückentechnologien derer, die es entweder nicht lassen wollen, auch innerhalb bedrückender Verhältnisse einem aufrechten Gang entgegen zu streben oder gar an einer Überwindung  dessen zu arbeiten das die miteinander Interagierenden voneinander „entfremdet“.

Dass die Fetisch-Krücken mitmenschlichere Formen der Arbeitsteilung nicht wirklich ersetzen können wird z.B. spürbar wenn der Wachstumsfetisch vergangener Zeiten nun durch einen Wachstumskritik-Fetisch ersetzt wird. Ist etwa „Wachstum ja oder nein“ die Frage?  Ist „er“ des Teufels oder doch rettender Engel – zum Beispiel für neue ökosozialdemokratische Perspektiven?

Warum nicht mehr (Öko-)Kommunismus wagen? Warum reden wir nicht über die Notwendigkeit, eine neuen Arbeitsteilung zu etablieren, die auf Basis freier (weltweiter, nationaler, regionaler) Übereinkünfte darüber funktioniert, was, wo, zu wessen Gunsten mit welchen Mitteln, Nebenwirkungen oder Risiken wachsen oder lieber schrumpfen soll?

Nach Vandana Shiva basiert die „Weltordnung des ökonomischen Fundamentalismus auf Gier und unbegrenztem Wachstum“ (taz-Sonderbeilage 2o Jahre weed).  Welche Konsequentzen legt eine solche Perspektive nahe? „Gier und unbegrentes Wachstum“ einfach durch „Bescheidenheit“ und „Begrenzung des Wachstums“ ersetzen. Aber wie?

Aber worauf  basieren ihrerseits „Gier und unbegrenztes Wachstum“?

Wachstum um jeden sozialen (bzw. ökologischen) Preis basiert auf  kapitalistische Behauptungsbedingungen. Freie Konkurrenz privater Bereicherungsagenturen (Tauschwertvermehrungsagenturen) um die atraktivsten Angebote am Markt zwingt diese, ihre Produktion zu beschleunigen. Wer produktiver ist als die Konkurrenz kann die Ware billiger anbieten, also für geringeren Aufwand als die Konkurrenz mehr Waren absetzen und entsprechend mehr Gewinn machen – bis die Konkurrenz ihrerseits die Nase vorn hat. Dieser Prozess entwertet jedoch die Waren am Ende für alle.

So müssen bald alle für den gleichen Gewinn mehr Waren verkaufen. Ziehen die Löhne (oder auch der Schuldendienst)  nicht entsprechend an, und können auch auf andere Weise keine hinreichend großen Absatzmärkte neu erschlossen werden, erzwingt dies zudem Konzentrationsprozesse. Wachse oder Weiche ist ein kapitalistisches Naturgesetz. Wachstumswahn mitsamt seinen schlechten Charaktereigenschaften basiert auf diese Mechanismen – nicht umgekehrt.

Die Frage ist allerdings, was die neue Grundlage für mitmenschliche Beziehungen sein kann, und was Entwicklung in diese Richtung anzeigt.

8 Responses to Fetischbegriffe: Wachstum

  1. Auf dem Kongress „Jenseits des Wachstums“ (über den ich auch in meinem Blog berichte: http://philosophenstuebchen.wordpress.com„), war es vor allem Andreas Exner, der immer wieder deutlich machte, dass ein wachstumskritisches Paradigma nicht nur auf alte Fragen neue Antworten gibt (z.B. Wie kann ein ökologischer Umbau sozial gerecht erfolgen?), sondern es ermöglicht, neue Fragen zu stellen (z.B.: Können wir nicht auch unsere Bedürfnisse befriedigen, ohne kaufen und verkaufen zu müssen?). Es geht darum, Märkte (und damit letztlich nicht nur Geld als Kapital, sondern Geld selbst) durch Kooperation zu ersetzen. Mehr von Andreas dazu unter http://www.streifzuege.org/2011/andreas-exner-spricht-gegen-geld-und-wirtschaftswachstum-attac-auftaktpodium-jenseits-des-wachstums-berlin

  2. hhirschel sagt:

    Danke für den Kommentar und den Hinweis. Konnte leider nicht teilnehmen. Neue Fragen bringt die Debatte gewiss. Mir geht es um eine Perspektive in der auch „unsere Bedürfnisse“ nicht enfach vorausgesetzt sind. Sie sollten ja auch selbst Gegenstand gemeinsamer Entscheidungsfindung über die zentralen Zwecke, Mittel und Kosten eines nachhaltigen Weltwirtschaftens werden können.

    Gruß hh

  3. hhirschel sagt:

    Die Frage, wie Bedürfnisse befriedigt werden können ohne kaufen und verkaufen zu müssen, ist gewiss eine wichtige, weshalb auch die Forderung nach einem bedigungslosen Grundeinkommen (BGE) ein zentrales Anliegen, bzw. Etappenziel sein sollte. Nur wäre mir auch wieder unwohl, wenn das „Kaufen & Verkaufen“ als solches, das heißt in einer überhistorischen Draufsicht (ebenso wie in seiner überhistorischen Existenz) verteufelt würde und dies Gedanken darüber, wie zunächst die Bedingungen des Kaufens & Verkaufens verändert, d.h. einer stärkeren sozialen Kontrolle unterworfen werden könnten, entgegenstünden, anstatt, diese Perspektive zu erweitern.

    Nicht, dass ich mir ein rein sozialökologisches Weltressourcen-Management ohne jegliches Geld nicht vorstellen könnte, aber das wird sich zur Hauptsache aus den Bemühungen um eine stärkere soziale Kontrolle innerhalb des globalisierten Kaufens-und-gekauft-Werdens entwickeln müssen.

    Allmende-Nischen bringen die gesellschaftliche Praxiserfahrungen, Debatten und Erkenntnisse gewiss voran. Doch zugleich muss sich im Schoße des komplett warensinnig gewordenen Füreinanders ein weltgemeinschaftliches Meinungsbildungs- und Entscheidungssystem entwickeln, innerhalb dessen die dann frei(willig) vergemeinschaftete Menschen über das Wo und Wie, Wieviel oder was dabei an Arbeitsaufwand (und entsprechender Arbeitsersparnis) gesellschaftlich notwendig ist, entscheiden, und das Ganze also auch anders messen, als indirekt mittels Warenpreise – als Ergebnis freier Konkurrenz, in der die angepriesenen Waren produziert und veräußerung werden (müssen), so dass Zeitersparnis oder -aufwand in eine ökologische Gesamtrechnung eingeliedert würde, der ein Index zugrunde liegt, der es erlaubt, neben Arbeitszeit auch andere soziale bzw. ökologische Parameter (wie etwa die Reperaturfreundlichkeit, Energieeffizienz, Gesundheitsförderlichkeit) zur (weltgemeinschaftlichen) Entscheidungsgrundlage über das Wohl oder Wehe eines Produkts zu machen.

    Gruß hh

  4. hhirschel sagt:

    Habe mir mal ein Thesenpapier von Anreas Exner angeschaut, der den Attac Wachstumskritik Kongress mit eröffnete. Und ich finde, dass das schon in die von mir befürchtete Richtung geht.

    Exner schreibt folgendes über die kapitalistische Warenproduktion:

    „In einer Marktwirtschaft haben die Produkte zweifache Gestalt: Sie sind Gebrauchswerte mit konkretem Nutzen und zugleich abstraktem ökonomischen Wert, der sich im Geld ausdrückt. Reichtum erscheint also in doppelter Form: Abstrakter Reichtum ist eine allgemeine Form des Reichtums, Geld verkörpert pure soziale Macht. Als solche dominiert Geld die Gebrauchswerte. Die Produktion hat daher die Erzielung von Geldgewinn zum Zweck, nicht die Befriedigung konkreter Bedürfnisse, diese ist notwendige Bedingung, nicht aber zureichender Zweck der kapitalistischen Produktion.

    Daraus resultiert ein Drang zum Wachstum. Geld als solches hat keinen Gebrauchswert, es unterscheidet sich von sich selbst nur der Menge nach. Wenn alles verkauft und gekauft werden muss, Einnahmen mit Ausgaben verglichen werden, dann wird Geldgewinn zum Produktionszweck. Weil Geld abstrakten Wert verkörpert, „man es nicht essen kann“, gibt es keine objektivierbare Grenze der Gewinnproduktion. Geld macht niemals „satt“. Die Produktion von Geldgewinn und die Herstellung von Gebrauchswerten, die gesamtgesellschaftlich dafür notwendig sind, sind daher maßlos.“

    Da der Autor seine Datei schreibgeschützt hat, ist eine weitere Darstellung und abschnittsweise Auseinandersetzung nicht möglich. Es geht dann so weiter, dass das Geld und der Staat Feindesland sind, (Ökosteuern deshalb auch Unsinn die den Staat zudem abhängig machen) und möglichst bald abgeschafft gehören und dass dies aus den sozialen Nieschen der „solidatrischen Ökonomie“ heraus geschehen müsse.

    Auch wenn ich es schon erholsam finde, dass einmal nicht „der Zins“ für die Wurzel allen Übers gehalten wird, empfinde ich die Wahrnehmung feindbildmäßig sortiert d.h. vereinseitigt. Das zeigt sich an Kleinigkeiten, wie dass es dem Autor nicht reicht, Geld Machtmittel zu nennen, sondern dass da unbedingt die „pure Macht“ angeklagt werden muss. Dann erscheint mir das Zusammenspiel der betiebswirtschaftlichen und die der „Volkswirtschaftlichen“ Perspektive nicht hinreichend refektiert. Zwar ist aus Sicht der Betriebe der Geldgewinn das treibende Motiv, aber aus Konsumentensicht, (die ja wohl als Element der gesamten (Re-)Produktionsprozesse zu berücksichtigen ist), sind es die Gebrauchswerte, wofür Verbraucher in der Regel auch möglichst wenig ihres puren Machtmittels Geld (das ihnen bekanntermaßen auch nicht unbegrenzt zur Verfügung steht) ausgeben möchten.

    Es stimmt auch nicht, dass Geld keinen Gebrauchswert hat. Der Gebrauchswert des Geldes ist, dass alle anderen Waren ihren Tauschwert in es (dem allgemeinen Äquivalent) spiegeln können, während der fixierte (Tausch-) Wert des Geldes sich im Gebrauchswert aller anderen Waren spiegelt. Das macht Geld schließlich zum allgemeinen Austauschmittel und damit zum allmächtigen Austauschrecht = Aneignungsrecht = Machtmittel. Man kann auch sagen: der Gebrauchswert des Geldes ist seine Kaufkraft.

    Der Begriff „abstakter Wert“ ist mir auch zu abstrakt, denn es abstrahiert von der gesellschaftlichen Fortschrittsmotor-Funktion nämlich die (unter der Bedingung freier Konkurrenz usw.) gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit zu reduzieren. Was dann auch (über das Bedürfnis der Käufer nach möglichst preiswerten Produkten Arbeitseinsparungsprozesse indiuizert), einzelne Unternehmen zwar ersteinmal Extrageldprofite ermöglcht, (ähnlich übriges wie bei Produktinnovationen = bessere Gebrauchswerte) aber letztlich zur Entwertung der Waren führt – weshalb für den gleichen Profit immer mehr Waren produziert werden müssen.

    Das ist die Basis der ständigen Fortschritte in der Entwicklung unseres menschlichen Bereichrungsvermögens und warum Kapitalismus so vielen immer noch so attraktiv und alternativlos erscheint.

    Die sozialen bzw. ökologischen Grenzen dieser Dynamik wahrzunhemen und diese bewusst zu gestalten kann deshalb auch nicht nur außerhalb des Staatlichen und der durch Geld vermittelten Vergesellschaftung (der großen weltweiten Produktion und des großen weltweiten Handels) geschehen.

    Ökosteuern sind z.B. ein Mittel, um überhaupt eine gesellschaftliiche Diskussion um das zu vermitteln, was wachsen und was lieber schrumpfen sollte. Das als „Herrschaftsmittel“ zu dämonisieren finde ich abenteuerlich. Objektiv verländert das nur die Zeitverlängert, in der Geld noch unhinerfragt als natürliches Aneignungsmittel gesehen werden muss und Arbeitsaufwand, deren Reduzierung, die Art der Kopplung mit diversen Aneingungsvermögen usw. gilt.

    Gruß hh

    Siehe auch http://hhirschel.wordpress.com/2009/02/05/okologischer-new-deal

    • Habe den Kommentar gerade überarbeitet. Einges war in der Eile unausgereift geblieben. Geld bzw. die kapitalistische Konkurrenz als ein sozialer Fortschrittsmotor ist natürlich ein weites Feld, jedenfalls sollte hier derAnreiz zur Reduzierung notwendiger Arbeit genannt sein. Bei der Gelegenheit habe ich auch beim Hauptbeitrag einige kleinere Dinge verbessert.

      Gruß hh

  5. hhirschel sagt:

    Dazu passend eine auf dem Commons-Blog wiedergegebene Kritik an einem Diskussionsbeitrag in den Marxistischen Blättern, der das andere Extrem repräsentiert, wo nämlich mit einer falsch angepackten Klassenkampfkeule auf das emanzipatorischen Potenzial von „Wachstumskritik“ eingedroschen wurde.

    http://commonsblog.wordpress.com/2011/09/06/erhaltungsspflicht-fur-gemeinguter-in-einem-grenzenlosen-kapitalismus

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