Fetischbegriffe … 1.) Bedarfsgerechtigkeit!


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Kein Mensch bekämpft die Freiheit; er bekämpft
höchstens die Freiheit der anderen.

Marx:  MEW Bd. 1, S. 51

Es versteht sich, daß die Aufhebung der Entfremdung immer von der Form der Entfremdung aus geschieht, welche die herrschende Macht ist …

Marx: Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844.MEW Bd. 40, S. 553

Begriffe wie “Freiheit”, “Gerechtigkeit”, “Entfremdung” ” Kapitalismus” , “Sozialismus”, “Staat”, “Markt”,  “Produktivkräfte”, “Fortschritt”, “Entwicklung”,  “Natur”,  “Politik”, “Gott”, “Rationalität”, “Bedarf”, “Bedürfnisse”,” Selbstbestimmung”, “Kritik”  oder auch  “Fetischisierung” erscheinen uns als Fixsterne des Denkens und Handelns!

Nicht selten erscheinen sie als die wahren Mittel der Erleuchtung oder zumindest der Beleuchtung des Elends dieser Welt oder deren Bändigung. Da sie der Orientierung dienen und der sozialen Rückbindung (=Religion) privater (Un-) Lust mit Gewohnheiten und Geboten, die das Zusammenwirken unterschiedlicher Privatzwecke (oft gegensätzlicher Natur) regeln,  ist deren Deutung oft hart, manchmal blutig umkämpft.  Sie stehen für Protest gegen wirkliches Elend, sind nicht selten Seufzer  bedrängter Kreaturen, werden unweigerlich zum Gemüt ungemütlicher Zeiten und zum Geist geistloser Zustände (vgl .  MEW Bd. 1, S. 378)  Manchen versetzt ihr Gebrauch in einen wohligen Rausch.  Aber Vorsicht! Vor Halluzinationen wird gewarnt.

Stellen sich die konkreten Beziehungen, Interessen und Instinkte wirklicher Menschen hinter ihren Rücken her und bilden keinen gemeinsamen, für alle sichtbaren Behauptungsrahmen beginnen uns diese mit eigenem Geist beseelt vorgestellten Bedeutungsgeber  auf der Nase herum zu tanzen.

1)Bedarfsgerechtigkeit

2) Fetischbegriffe:  “qualitatives Wachstum”

Manche dieser als geistige Brückentechnologien fungierende Fixsterne sind von einer solchen Strahlkraft, dass sie sogar längst erloschen geglaubte Begriffe wie „den Sozialismus“ wieder zum Leuchten bringen können.  Allerdings nur für einen Moment.  Dann ist es wieder zappenduster.

1)Bedarfsgerechtigkeit als Fetischbegriff

Nach Sara Wagenknecht ist Kommunismus, wenn die öffentliche Hand für „den Bedarf“ produziert und für Tariflöhne sorgt!

Die langjährige Vorstandsfrau der Partei „die Linken“ und zugleich Vorsitzende  der  „Kommunistischen Plattform“ der Partei  Sarah Wagenknecht sagt Kluges im Taz Interview vom 26.02.09., wie etwa, dass die Kapitalismuskrise kein Grund zum Frohlocken sei, weil viele Menschen leiden werden und diese nach rechts driften könnten, wenn die Linke keine klare und glaubwürdige Alternative anböte. (Mehr Kluges von SW gibt es übrigens in einem Interview des Cicero).

Beim Antworten auf die Frage, wie sie sich eine „nicht kapitalistische Gesellschaft“ vorstelle, hält sie den Ball aber seltsam flach.

Es ist eine Gesellschaft, in der die Schlüsselbereiche der Wirtschaft und die Daseinsvorsorge in öffentlicher Hand sind. In der nicht primär für Rendite produziert wird, sondern für den Bedarf. In der die Beschäftigten die Entwicklung ihres Unternehmens real mitbestimmen können. Und in der die Einkommensunterschiede viel kleiner sind als heute.

(…)

Nicht in dem Sinne, dass der Wirtschaftsminister die Unternehmen führt. Die operative Leitung muss im Unternehmen bleiben, aber anderen Kriterien folgen. Dazu gehört auch, dass Lohndumping tabu sein muss. Die Menschen müssen tariflich bezahlt und gesichert beschäftigt werden.

Daseinsvorsorge durch Schlüsselindustrien in öffentlicher Hand sorgt für Tariflohn und einen quasi Beamtenstatus, Arbeiter/innen dürfen die Entwicklung ihres Unternehmens mitbestimmen! Ist das alles?

Das klingt mehr nach fürsorglichem Staat als nach einem kommunistischen Emanzipationsprozess bei dem sich die Menschen zunehmen in die Lage versetzen,  die langfristigen Zwecke der Produktion miteinender  abzustimmen.

Denn eine Verallgemeinerung der Fähigkeit, Entwicklung und Anwendung menschlicher Schaffenskraft und deren Hilfsmittel in einem diskursiven Prozess abzustimmen, bedeutet, dass „der Bedarf“ nicht einfach feststeht und nur fürsorglich zu erfüllen ist. Es ist ja gerade Gegenstand jeder kooperativen  Zweckbestimmung,  Bedarf und Bedürfnisse zu hinterfragen, verschiedene Bedürfnisse aufeinander abzustimmen, ins Verhältnis zu den  mit ihrer Erfüllung verbundenen  Mühen, dem Ressourcenverbrauch oder (möglichen) Schäden zu setzen.

Wagenknechts Vorstellung von Arbeiteremanzipation scheint  auf Mitbestimmung „der Entwicklung ihres Unternehmens“  fixiert.  Soll eine  „Demokratisierung der Produktionsverhältnisse“  mehr Mitmenschlichkeit ermöglichen, muss sie aber den ganzen Kreislauf der – weltweiten –  (Re-) Produktion, inklusive des Konsums erfassen, muss die „Entfremdung“ zwischen Konsum und Produktion und damit auch zwischen Wissenschaft, Philosophie und Alltagsbedürfnissen aufheben.

Übrigens steckt in Wagenknechts Antwort auch eine Unterschätzung kapitalistischer „Bedarfsgerechtigkeit“. Was würde sie – die Entwicklung  ihres Unternehmes mit bestimmenden –  Arbeiter/innen  raten,  wenn deren Unternehmen zwar hohe Löhne zahlt und niemand entlässt, für die Produktion des öffentlich-dienstlich bestimmten Bedarfs aber mehr Menschen viel mehr Zeit benötigen als beim anderen Unternehmen, das bessere Maschinen hat und dafür mit weniger Arbeitskräfte auskommt? In dem Fall konnten also die, die „in erster Linie für den Bedarf“  schufteten, diesen sehr viel weniger befriedigen als die Profit gesteuerte Konkurrenz.

Was nun?

Es ist doch so, dass „der“ Bedarf weitgehend erst durch ein Angebot geschaffen wird. Durch kapitalistische Konkurrenz und  Zwang zur Rationalisierung also zur Produktivkraftentwicklung werden z. B. Dinge, die lange als elitärerer Luxus galten, für sehr viel mehr Menschen bezahlbar. Viele neue Annehmlichkeiten und Verbesserungen waren überhaupt erst denkbar, weil einzelne Unternehmen auf der Jagd nach Extraprofiten „Innovationen“ auf den Markt bringen müssen. Denn neu entwickelte Produkte mit einem hohen Gebrauchswert können teurer verkauft werden als unter Bedingungen freier Reproduzierbarkeit, unter der die Preisbildung durch den – unter dieser Bedingung –  gesellschaftlich aufzubringenden  Arbeitsaufwand gesteuert wird.  Das ist auch der Grund, warum auf Produktinnovationen setzende Finanzspekulation mit höheren Renditeerwartungen arbeiten können, als die sich im „Bruttosozialprodukt“ spiegelnde Wachstumsrate aller Tauschwerte.  Entgegen all der linken Empörung über die vermeintliche Gebrauchswertblindheit des Kapitalismus puscht diese Produktionsweise ständig das „qualitative Wachstum“ . Das ist ein wesentlicher Grund für die Attraktivität kapitalistischer Formen der (Re-) Produktion. In der Volksseele der real existierenden DDR war diese Wahrheit in dem witzelnden Spruch präsent:

„lieber ausgebeutet und Westkarosse fahren, als herrschende Klasse und mit dem Trabbie durch die Gegend gurken müssen.“

Gegen Wagenknechts Argumentation müsste man eigentlich ausrufen: Kapitalismus ist geil! Das Dumme ist halt nur, dass unter kapitalistischen Behauptungs- bzw. Rechtfertigungsbedingungen „Bedarf“ (abgesehen vom ungleichen Vermögen zu seiner Befriedigung) nicht hinreichend in Beziehung gesetzt werden muss zu den sozialen bzw. ökologischen Voraussetzungen und Wirkungen seiner  Befriedigung.

Über ein „sozialistisches Konzept“ sind derzeit zwar nur sehr allgemeine Aussagen möglich.  Aber etwas mehr (Öko-) Sozialismus sollte schon sein, und das erfordert eine Wegorientierung von der kurzfristigen und daher vorschnellen Maximierung von Selbstvergewisserungsgewinnen und den Mut, sich an den Stärken „des Kapitalismus“ abzuarbeiten. Nur so kann es gelingen, endlich zu einer realistischen Perspektive  der  „Aufhebung“ kapitalistischer Produktionsbedingungen zu kommen, zu denen eben  auch die  zivilisatorischen Fortschritte  gehören zu denen das alte System nötigt(e).

hh


Zur Richtungsdiskussion siehe auch Marx:  Damit die “Entfremdung” eine unerträgliche Macht wird…

Außerdem:

5 Responses to Fetischbegriffe … 1.) Bedarfsgerechtigkeit!

  1. […] Fetischbegriffe … 1.) Bedarfsgerechtigkeit! […]

  2. […] den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger ist es etwas komplizierter als auf den ersten Blick scheinen mag, aber  natürlich sind das erst […]

  3. hhirschel sagt:

    Dass Sarah Wagenknecht sich inzwischen in Richtung einer ordoliberalen Kapitalismusapologetik bewegt statt mehr ökohumanistischen Kommunismus zu wagen, zeigt ihr vom 31.12.12 datiertes Spiegelinterview.

    Die von den Spiegel-Journalisten mit Berufung auf Ludwig Erhard behauptete Identifizierung von Planwirtschaft mit Zwangswirtschaft beantwortete Wagenknecht so:

    Wer will eine „Zwangswirtschaft“? Natürlich braucht eine moderne Gesellschaft Märkte, aber bitte nur da, wo sie funktionieren.

    Die dringende Notwendigkeit zur Etablierung eines Weltwirtschaftens, das auf flexible und von den Völkern selber kontrollierte Nachhaltigkeitspläne aufbaut, ist auch für Sarah Wagenknecht offenbar undenkbar. Natürlich kann eine dahin gehende Übergangsgesellschaft nur auf ein „ökokapitalistisches“ Marktwirtschaften aufbauen, also auf privateigentümliche Verfügung über gegeneinander konkurrierende Unternehmen – wenn auch – zunehmend – auf globale Nachhaltigkeitsziele getrimmt. Allerdings wird aus der LINKEN Ecke gegen in eine solche Richtung gehende Ansätze (etwa unter dem Namen „Green New Deal“) meist kräftig polemisiert.

    Wenn es auch zunächst darauf ankommt, wenigstens ökokapitalistische Reformperspektiven zu eröffnen, so heißt das keineswegs, dass moderne Gesellschaften in alle Zukunft Märkte brauchen werden, d.h. Unternehmen, die um die attraktivsten Angebote für die private Aneignung gesellschaftlicher Mittel der Existenzsicherung und Bereicherung konkurrieren.

    Wagenknecht stützt ihre Perspektive mit einer ideellen (ideiologischen) Spaltung zwischen gutem, kreativem Unternehmertum und schlechten Kapitalisten.

    Wagenknecht: Schon der österreichische Nationalökonom Joseph Schumpeter unterschied zwischen Unternehmern und Kapitalisten. Der Unternehmer ist jemand, der eine gute Idee hat, etwas Neues aufbaut und so den Wohlstand steigert. Für den Kapitalisten dagegen ist der Betrieb nichts als ein Anlageobjekt, das eine möglichst hohe Rendite abwerfen soll. Das Schlimme am heutigen Wirtschaftssystem ist, dass es die Kapitalisten fördert und den Unternehmern das Leben schwermacht.

    Sicher ist diese Sicht ein Fortschritt gegenüber der Klassenhass-Retorik des SED-Staates. Aber die gemachte Auftrennung ist am Ende wirklich albern. Die Unternehmenszentrierte Perspektive Wagenknechts bzw. der von ihr vertretenden Richtung innerhalb der LINKEN lässt sich auch aus der folgenden Einwurf des Spiegels ablesen:

    SPIEGEL: Das wollen Sie ändern: Alle Unternehmer, deren Firma mehr als eine Million Euro wert ist, sollen jährlich fünf Prozent ihres Vermögens an die Belegschaft abführen. Und wenn sie sterben, wird der Betrieb nicht vererbt, sondern größtenteils den Beschäftigten übergeben. Glauben Sie wirklich, dass Erhard einen solchen Vorschlag unterstützt hätte?

    Unternehmenseigentum den Belegschaften übereignen zu wollen ist eine wirkliche Schnapsidee. Das würde den durch die Lohnabhängigkeit begingten strukturellen Konservativismus in zentralen Fragen gesellschaftlicher Perspektivfindung nur noch verschlimmern. Es müssten im Gegenteil neue Formen der Organisation von Arbeit gefunden werden, die die Abhängigeit vom Geschäftserfolg „ihrer“ Unternehmen (was auch immerder soziale bzw. ökologische Preis) eher abbaut.

    Na, man darf gespannt sein, wie das weitergeht.

    hhh

    Übrigebs: Was Wagenknechts Verältnis zu dem von ihr im Interview bemühten Ordoliberalismus angeht, lohnt ein Blick in des Spiegels Münchhausen-Check.

    Zweiter Nachtrag:

    Der folgenden Bemerkung des Ökosozialisten Saral Sarkar in dem Blog AK-Ökopolitik zum besagten Spiegel-Interview kann ich in dem Falle nur zustimmen.

    Der neue Gedankengang von Wagenknecht, dieser ganze Diskurs, ist von vorgestern, kalter Kaffe. All das haben wir schon früher gehabt: „sozialistische“ Marktwirtschaft, Ota Siks „Mitarbeitergesellschaft“, Betriebe im Besitz der Belegschaft, das Jugoslawische Modell usw. Das alles war kein Sozialismus. In einer „sozialistischen“ Marktwirtschaft mit Betrieben im Besitz der Belegschaften werden die Betriebe samt ihren Arbeitern nicht miteinander kooperieren, sondern um Marktanteile und Profit konkurrieren. Es werden reiche und arme Betriebe, reiche und arme Arbeiter geben. Die reichen Betriebe werden die armen ausbeuten (wie damals in Jugoslawien).

    Es wird das übliche Chaos des Marktes, das konjunkturelle Auf und Ab und Arbeitslosigkeit geben. In den 1960er und 1970er Jahren mussten arbeitslose Jugoslawen ihre marktsozialistische Heimat verlassen und sich bei deutschen Kapitalisten verdingen.

    Wagenknecht hat die gegenwärtige Krise des Kapitalismus einfach nicht verstanden. Sie ist immer noch beschäftigt mit der Suche nach dem besten Weg, den Wohlstand der Deutschen zu steigern, und sie erweist sich dabei als eine gute Keynesianerin. Sie sagt: „Je ungleicher die Verteilung, desto langsamer wächst der Kuchen. Weil wir sinkende Renten und … miese Arbeitsverhältnisse haben, können sich die Leute viele Dinge nicht mehr leisten. … Steigen die Einkommen der Mehrheit, wird der Binnenmarkt gestärkt, und dann verbessern sich auch die Chancen, dass der Kuchen wieder größer wird.“ Das ist durchschnittliches Gewerkschafterniveau. Man sieht da keine Spur von Gedanken über Grenzen des Wachstums. Dem Leser des Interviews kommt vor, als hätte sie nichts von den ökologischen und Ressourcenkrisen gehört. Schade!.

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